Kritische Texte, kunstvoller Chorgesang

Zuhörer erleben kontrastreiches musikalisches Abendgebet „O-Ton“ mit dem Knabenchor Capella Vocalis in der Stadtkirche.

Obwohl die Formation der Sänger von Capella Vocalis nur rund ein Drittel des Chors umfasste, entwickelte die Gruppe bei ihren Beiträgen eine unglaubliche Fülle an Klangvolumen. Foto: E. Klaper

Obwohl die Formation der Sänger von Capella Vocalis nur rund ein Drittel des Chors umfasste, entwickelte die Gruppe bei ihren Beiträgen eine unglaubliche Fülle an Klangvolumen. Foto: E. Klaper

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Eine enorm starke Spannung zwischen geistlichen Texten des Schweizer Pfarrers und Autors Kurt Marti, der im Januar 100 Jahre alt geworden wäre, und Chorkompositionen zum Leiden und Sterben Jesu Christi vom Barock bis zur Gegenwart prägte das musikalische Abendgebet „O-Ton“ zur Passionszeit in der Murrhardter Stadtkirche. Die Besucher erlebten ein sorgfältig zusammengestelltes und ausgeklügelt aufeinander abgestimmtes Programm mit einer intellektuell überaus herausfordernden Interaktion zwischen Worten und Klängen. Denn die meisten Texte standen in scharfem Gegensatz zu den virtuosen Interpretationen der Chorwerke, die meist in traditioneller kirchenmusikalischer Tonsprache den Leib Jesu Christi würdigten, Gott lobten oder Klage und Trost zum Ausdruck brachten. „Kurt Marti hatte mit der christlichen Theologie und Tradition zu kämpfen“, erklärte Pfarrer Hans Joachim Stein. Er hatte einige besonders kritische, provokante Texte des Schweizer Pfarrers ausgewählt. Sie stellen fundamentale Grundsätze des christlichen Glaubens und der Theologie infrage und sollen die Gläubigen aufrütteln: „Wecke uns auf, stecke uns an mit deiner Leidenschaft.“

So stellte Kurt Marti klar, dass Passion sowohl Leiden als auch Leidenschaft bedeutet. Dass Jesus für seine Leidenschaft für Gott mit der Gottverlassenheit am Kreuz zahlen musste, war das eigentliche Drama. Die christliche Theologie habe Jesu Tod am Kreuz nachträglich als Sühneopfer für die Sünden der Menschen sowie als Erlösung und Vergebung für die ganze Menschheit gedeutet. Doch diese ist laut Marti „offensichtlich unerlöst“ geblieben, denn die Christen hätten „die mörderischsten Kriege geführt“ und seien für „die rücksichtsloseste Umweltzerstörung“ verantwortlich. Zugleich bekannte Kurt Marti aber: „Ich glaube, dass ich deswegen Christ bin, weil ich durch einzelne Christen erfahren habe, was Vergebung ist. In ihr ist mir die schöpferische Herausforderung Jesu konkret begegnet. Vergebung befreit und verändert (...). Sie schafft eine Solidarität, die auch unsere dunklen, gefährlichen Seiten mitträgt.“ Vergebung sei somit eine Quelle von Freundschaft und Liebe, ein Akt der Freiheit und motiviere zu neuer Hoffnung.

Dazu kam die große Zuhörerschar in den Genuss von Chormusik der Spitzenklasse, präsentiert von einer etwa 15-köpfigen Formation des Knabenchors Capella Vocalis aus Reutlingen unter der Leitung von Christian Bonath. Die jungen Sänger, die sich in der Vierung mit den gebotenen Abständen halbkreisförmig aufstellten, entfalteten einen so voluminösen und weittragenden Wohlklang, der sich anhörte, als ob der gesamte Chor singen würde. Die Choristen interpretierten ausdrucksstark, stilistisch nuancenreich und innig vielschichtige Klangkunstwerke. Dabei gestalteten sie feinsinnig differenziert die charakteristischen Merkmale und Details der Kompositionen aus verschiedenen Epochen und Ländern. Diese deuteten und stellten klangmalerisch ihrerseits Texte und Themen zur Passion Christi auf verschiedene Weise und in unterschiedlicher Tonsprache dar. Wohl am ehesten zu den kritischen Texten Kurt Martis passend wirkte die Motette „The Lamb“ des englischen Komponisten John Tavener mit teils gegeneinander laufenden Stimmen und sich disharmonisch reibenden Klängen, aber auch ruhig dahinschwebenden, harmonischen Passagen. Tavener ließ sich von geistlichen Gesängen der russisch-orthodoxen Kirche inspirieren, gestaltete seine Chorwerke aber in moderner, angelsächsischer Klangsprache. Meditativ und erfüllt von zärtlichen Empfindungen kam die Motette „Mother of God“ zur Geltung.

Monumental, aber auch seelenvoll brachten die Sänger Werke französischer Komponisten zum Ausdruck. So den feierlichen spätromantischen Melodiebogen der Motette „Ave verum“ von Camille Saint-Saëns. Ebenso die von alter Musik inspirierte, stimmungsvolle Motette „Ave verum corpus“ von Francis Poulenc mit gelungener Verbindung traditioneller und moderner Klangelemente sowie Marc-Antoine Charpentiers Motette „Stabat Mater“ mit zarten Solostimmen. Klangschöne, vollendete Interpretationen des bekannten „Ave verum corpus“ von Wolfgang Amadeus Mozart sowie von Tonkunstwerken aus den Federn von Johann Sebastian Bach und Johannes Brahms rundeten das Programm ab. Bei einigen Chorvorträgen wirkte Kantor Gottfried Mayer an der Orgel mit. Mit starkem Beifall dankten die begeisterten Zuhörer allen Mitwirkenden für das eindrucksvolle Hörerlebnis.

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Erstellt:
9. März 2021, 06:00 Uhr

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