Künstlerisch meisterhaft, inhaltlich stimmig
Über 80 Sänger von Jugendchor, Kantorei und Kammerchor, vier Vokalsolisten und 25 Musiker des Orchesters Collegium musicum Stuttgart führen das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach stilvoll in der voll besetzten Stadtkirche auf.
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Eine eindrucksvolle Sternstunde der Kirchenmusik ist die Aufführung der Kantaten I bis IV des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach durch über 100 Mitwirkende unter der Regie von Kantor Gottfried Mayer in der voll besetzten Stadtkirche. Die über 80 Sängerinnen und Sänger von Kantorei, Jugend- und Kammerchor sowie 25 Orchestermusikerinnen und -musiker haben ihre Partien seit dem Herbst in intensiver Probenarbeit einstudiert. Sie agieren hoch konzentriert, voller Hingabe, Sing- und Musizierfreude und laufen zu Topform auf. Mit Bravour meistern sie die großen Herausforderungen wie außerordentlich kunstvoll ausgearbeitete und komplexe Stimmführungen, Figurationen und Koloraturen. So entfalten sie vom ersten Takt an die unwiderstehliche Faszination der festlichen, prachtvollen Barockmusik, in der die große Freude über die Geburt des Jesuskinds mit Pauken und Trompeten und dem Jubelausruf „Jauchzet, frohlocket“ zum Ausdruck kommt.
Die Chöre, Vokalsolisten und das Orchester vermitteln in Chorstücken und Chorälen, Rezitativen, Arien und Instrumentalpassagen die Weihnachtsgeschichte und dazu passende Texte. Dies gelingt ihnen vollendet in präzisen Interaktionen und harmonischem Zusammenwirken. Alle Werke werden voller tänzerischem Schwung und im exakt richtigen Tempo dargeboten, nicht zu schnell, wie es manchmal leider geschieht. So versteht das Publikum die Texte und hört die vielen bezaubernd schönen kompositorischen Feinheiten. Besonders schön kommen die innige, instrumentale Sinfonia in wiegendem Rhythmus zu Beginn der zweiten Kantate, der Chor der Engel „Ehre sei Gott“ und der Chor „Herrscher des Himmels“ zur Entfaltung.
Künstlerisch meisterhaft und inhaltlich überzeugend interpretieren die international renommierten Solistinnen und Solisten ihre enorm komplexen Partien und Duette. Mit facettenreicher, strahlender Stimme gestaltet die griechische Sopranistin Fannie Antonelou besonders schön die sogenannte Echoarie in der vierten Kantate, wobei Kammerchorsopranistin Rabea Vockeroth filigran das Echo singt. Empfindungsreich intoniert die Mezzosopranistin Florence Awotula die Altpartien: Ihre klangschöne Stimme kommt in höheren Lagen besser zur Geltung als bei tieferen Tönen.
Besondere Anerkennung gebührt Tenor Stefan Frieß: Kurzfristig ersetzt er den erkrankten Robin Neck und obwohl er selbst erkrankt ist, bietet er die vielen Evangelistenpartien und die Tenorarien mit enorm komplexen Koloraturen souverän dar. Würdevoll und klangschön interpretiert Bariton Thomas Scharr die Basspartien. Anmutig wirkt die Interaktion mit den Chorsopranen bei „Er ist auf Erden kommen arm“ in der ersten Kantate. Harmonisch und stilvoll gestaltet Scharr die wunderbar melodiöse Duettarie „Herr, dein Mitleid“ mit Fannie Antonelou in der dritten Kantate sowie die Rezitative im Wechsel mit Chorälen der Sopranistin in der vierten Kantate.
Die ersten drei Kantaten gehören zusammen, die vierte stellt eine Meditation über das Christkind dar. Darin bereichern zwei Hörner das Orchester um eine warme, innige Klangfarbe. Um das aktive Zuhören und die Reflexion über den Inhalt des Weihnachtsoratoriums zu fördern, hat Kantor Gottfried Mayer als klanglichen Impuls aus der Gegenwart das von Arvo Pärt vertonte traditionelle irische Schutzgebet „Christ With Me“ (Christus ist mit mir) eingefügt, welches inhaltlich die vierte Kantate vorbereitet. Andächtig bringt der Kammerchor a cappella die meditativen, minimalistisch kurzen Rufe zum Ausdruck. Lange Tonbögen der Sopransängerinnen überspannen Akkorde in moderner Klangsprache und der Chorgesang steigert sich zum Ende hin zu einem monumentalen Wohlklang. Die Zuhörerinnen und Zuhörer singen die bekannten Weihnachtschoräle mit und feiern enthusiastisch die grandiose Aufführung. Auch die Akteure sind glücklich und zufrieden: „Es hat alles gepasst“, findet eine Chorsängerin. Gottfried Mayer strahlt vor Freude darüber, dass das gesamte Klangkunstwerk so gut gelungen ist, wozu alle Beteiligten beigetragen haben. Dem großen Engagement des Kantors ist es zu verdanken, dass die Chöre die sehr anspruchsvolle Stimmführung souverän beherrschen, die Texte differenziert und gut verständlich artikulieren und die Chorsätze in den richtigen Tempi und präzise abgestimmt vortragen. So kommt das barocke Klangbild transparent, homogen und in voller Schönheit zur Entfaltung. Die Aufführung des Weihnachtsoratoriums, das die Geburt Jesu Christi als Retter und Erlöser der Menschheit in majestätischer Klangfülle verkündet, kann als ein Zeichen der Hoffnung verstanden werden.
Die Sehnsucht nach Frieden ist aktueller denn je: Die Musik von Bach und Pärt vermittelt den Zuhörerinnen und Zuhörern, bei Gott geborgen zu sein, um ein ermutigendes Ja zu bekommen für das Leben in dieser Welt, obwohl diese von Krisen und Kriegen erschüttert wird.