„Liebe ist keine Sünde“
Ministranten der katholischen Kirchengemeinden in Backnang haben sich an der deutschlandweiten Aktion LoveIsNoSin beteiligt. Mit Plakaten und Regenbogenflaggen haben sie gegen ein Segnungsverbot für Homosexuelle aus dem Vatikan protestiert.
Von Kristin Doberer
BACKNANG/OPPENWEILER/MURRHARDT. Statt eines Kreuzes oder liturgischen Farben weht am Fahnenmast vor der St.-Johannes-Kirche in Backnang seit einigen Tagen eine Flagge mit Regenbogenmuster im Wind. Dahinter steckt die Aktion #LoveIsNoSin (zu Deutsch: Liebe ist keine Sünde), eine deutschlandweite Bewegung in katholischen Kirchengemeinden. Hintergrund ist, dass die römische Glaubenskongregation Mitte März klargestellt hat, dass die Kirche nicht befugt ist, homosexuelle Paare zu segnen. Diese Segnung sei nicht Gottes Wille, so die Kirchenvertreter aus Rom. Dagegen haben Kirchengemeinden deutschlandweit protestiert. Nach einem Aufruf vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) haben sich viele besonders in den sozialen Medien gegen diese Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren ausgesprochen.
Daran beteiligen wollten sich auch die Ministranten der katholischen Gemeinden St. Johannes und Christkönig in Backnang. Über die interne Jugendgruppe haben sich acht oder neun Jugendliche gefunden, sie haben die Fahnen an beiden Kirchen aufgehängt, Plakate bemalt und vor der Kirche aufgestellt und Kreidezeichnungen auf die Mauer und den Boden angebracht. „Gerade die Jugend muss sich für so etwas einsetzen“, sagt Bianca Bothner, die Oberministrantin in Backnang. „Wenn wir mit etwas nicht mehr übereinstimmen, dann bringt es nichts, einfach aus der Kirche auszutreten. Sonst sitzen da irgendwann nur noch alte, konservative Leute.“
Die Debatte ist aber auch in andere katholische Kirchengemeinden der Region vorgedrungen, wenn auch nicht mit öffentlichen Aktionen. Julius Ekwueme, Pfarrer in Oppenweiler, erzählt, dass sich in der Gemeinde viele zu den Aussagen aus Rom geäußert haben. Der Kanon: Eine solche Aussage gehe einfach nicht. Dem stimmt er zu: „Was mich persönlich stört, ist, dass Rom damit sagt: Das sind alles Sünder. Egal wie man eine Lebensweise betrachtet, wir können sie nicht so öffentlich vorverurteilen und diskriminieren. Es ist nicht unsere Aufgabe, Menschen zu verurteilen, das steht nur Gott zu.“ Die Aussagen findet er auch deshalb sehr absurd, weil er demnach dann eigentlich gar niemanden mehr segnen dürfte, da „wir alle sündige Menschen sind“.
„Ist dieses Bild von Sexualität
noch auf der Höhe der Zeit?“
Auch die Gemeinden der Region sprechen sich deutlich gegen das Segnungsverbot aus Rom aus, auch wenn es bisher zumindest in Oppenweiler und Murrhardt noch keine Segnungen von homosexuellen Paaren gegeben hat. Wie damit in Zukunft umgegangen wird, müssten auch die Bischöfe mit bestimmen, die sich im Synodalen Weg, einem Gesprächsformat der katholischen Kirche Deutschland, unter anderem mit dem Thema Sexualität beschäftigen. „Die Bischöfe müssen sich damit auseinandersetzen, wie die Familie als Ort des Glaubens eigentlich in der heutigen Gesellschaft verstanden wird. Die müssen uns dann eine Basis geben als Vermittler des Glaubens vor Ort“, sagt Pfarrer Julius Ekwueme. Er ist froh, dass sich die Bischofskonferenz nun mit dem Thema beschäftig, auch wenn der Auslöser eine Aussage aus dem Vatikan war, die „gar nicht geht“. Zumindest, so der Pfarrer, gehe es in die richtige Richtung. Dass die Debatte gerade um Ostern aufgekommen ist, findet er sogar sehr passend: „Bei Ostern geht es auch darum, dass sich etwas Neues auftut, dass man aufgerüttelt wird. Und es gehört auch zu Ostern, dass man keine Angst vor neuen Richtungen hat.“ Er sagt, dass er auch homosexuelle Paare segnen würde, auch wenn es in seiner Gemeinde dazu noch keine Anfragen gegeben habe. Segnen gehöre schließlich zu seinen Aufgaben als Pfarrer und da wolle er niemand grundsätzlich ausschließen.
Auch Martina Fuchs, die Pastoralreferentin der Seelsorgeeinheit Oberes Murrtal, sagt: „Die Bischöfe müssen uns die theologische Grundlage geben. Als Orientierung und damit es nicht chaotisch wird.“ Sie ist aber sehr froh, dass es schon so viele und auch heftige Gegenreaktionen zu den Äußerungen aus Rom gegeben hat, sogar von „nicht so progressiven Personen“.
„Man muss sich schon fragen, welches Bild von Sexualität hinter diesem Verbot steckt, ob das überhaupt noch auf der Höhe der Zeit ist“, sagt Fuchs. Auch das traditionelle Bild von Ehe und Familie müsse hinterfragt werden. So sei es tragisch, dass liturgisch gesehen die Ehe das einzig Richtige ist. Ihrer Meinung nach könne das nicht die einzige richtige Antwort sein. Und das Fazit könne erst recht nicht sein, dass alles andere, das es auch dazwischen gibt, schlecht ist.
In ihrer Ausbildung sei sie auch einmal bei der Segnung eines lesbischen Paares dabei gewesen. „Man hat gemerkt, wie wichtig ihnen das ist. Schon allein dadurch, dass sie überhaupt um die Segnung gebeten haben, obwohl sie wussten, dass es eigentlich nicht geht.“ Die Segnung sei sehr stimmig gewesen und es sei deutlich geworden, dass die beiden Frauen füreinander einstehen, erzählt Fuchs. „Bei der Segnung muss es um die Werte eines Paares gehen und nicht um einen diskriminierenden Blick auf Sexualität.“ Man müsse sich als Kirche weiterentwickeln.
Das sieht auch Monika Schwartz so, die Vorsitzende des Gesamtkirchengemeinderates Backnang. „Warum sollte ein homosexueller Mensch nicht gesegnet werden dürfen? Theologisch und humanistisch ist das nicht mehr nachvollziehbar.“ In kleineren Gremien und dem Kirchengemeinderat sei die Aktion der Jugendlichen auf viel Lob gestoßen. „Auch ich bin sehr stolz auf unsere Jugend“, sagt Schwartz. „Viele von uns waren enttäuscht und frustriert, manche sogar empört von diesem Verbot. Das passt nicht in die heutige Zeit und ist mit unserem christlichen Wertesystem nicht vereinbar“, sagt Schwartz. Sie und der Gesamtkirchenrat stehen hinter der Aktion, eine Stellungnahme zum Segnungsverbot ist gerade in Arbeit.
Die Fahne heruntergerissen, Kreidezeichnungen weggewaschen.
Es hat aber auch andere Reaktionen gegeben. So wurde die Regenbogenflagge an der St.-Johannes-Kirche bereits zweimal abgerissen – selbst der Karabiner wurde geklaut. Die Flagge an der Christkönigskirche wurde einmal abgeschnitten, bevor sie so weit oben befestigt wurde, dass man nur schwer rankommt. Auch die dort angebrachten Schilder und Transparente seien von Unbekannten weggerissen worden, Kreidezeichnungen zur #LoveIsNoSin-Aktion wurden sogar absichtlich weggewaschen. „Ob das jemand aus unserer Gemeinde war oder einfach jemand, dem das nicht passt, wissen wir nicht“, sagt Schwartz.
Für die Jugendlichen, die viel Mühe und Zeit in die Plakate und Kreidezeichnungen gesteckt haben, war das zwar keine Überraschung, enttäuscht waren sie aber trotzdem. „Ich war auch wütend. Schon beim Aufmalen habe ich kritische Blicke bemerkt, manche haben beim Vorbeifahren etwas aus dem Auto gerufen“, sagt Bianca Bothner. Sie und ihre Mitstreiter wollen nun zum dritten Mal die Regenbogenflagge an dem Fahnenmast anbringen. Wenn sie erneut geklaut wird, wird es zwar keine neue geben, schließlich könne man nicht ständig neue aufhängen, aber Bothner will trotzdem versichern: „Niemand soll sich dadurch entmutigen oder beängstigen lassen. Es gibt viel mehr, die die Aktion unterstützen.“ Tatsächlich offene Kritik, die direkt an die Jugendlichen oder Schwartz herangetragen wurde, gab es keine. „Offene Argumente gibt es keine. Es ist eher indirektes Druckmachen gegen die Aktion“, sagt Ministrant Markus Wülbeck. Dabei sind sie sich einig, dass es viel mehr Offenheit und Gespräche auch über Tabuthemen braucht. Auch deshalb habe man sich dafür entschieden, so öffentlich für mehr Toleranz zu werben.