Individuelle Gesundheitsleistungen
Milliarden für fragwürdige Untersuchungen
Eine aktuelle Erhebung zeigt, dass Patienten mehr Geld für Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) ausgeben als bislang angenommen. Weil ihr medizinischer Nutzen umstritten ist, werden IGel in der Regel nicht von den Kassen bezahlt.
Von Werner Ludwig
In Arztpraxen werden oft Untersuchungen oder Behandlungen angeboten, die nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Kassen gehören. Für diese Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) müssen Patientinnen und Patienten daher selbst aufkommen. Zu den populärsten IGeL zählen bei Frauen Ultraschalluntersuchungen von Eierstöcken oder Gebärmutter, bei Männern der PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs und bei beiden Geschlechtern die Messung des Augeninnendrucks zur frühen Diagnose des Grünen Stars.
Der medizinische Nutzen eines Großteils dieser Leistungen ist umstritten, nicht wenige wirken sich nach Einschätzung des Medizinischen Dienstes Bund (MD Bund) tendenziell negativ oder negativ auf die Gesundheit aus – etwa durch falsch positive Befunde, welche Patienten verunsichern oder zu unnötigen und belastenden Behandlungen führen können.
In Süddeutschland sind IGeL besonders beliebt
Bei der Präsentation des IGeL-Reports 2024 hat der MD Bund nun erstmals umfassende Zahlen zur wirtschaftlichen Bedeutung der Zusatzleistungen vorgelegt. Laut einer repräsentativen Umfrage unter gut 2000 Personen zwischen 18 und 80 Jahren haben gesetzlich Versicherte 2023 mindestens 2,4 Milliarden Euro für IGeL-Angebote ausgegeben. Der MD hatte das Volumen bislang auf bis zu 1,5 Milliarden Euro geschätzt. „Die Gesamtausgaben für IGeL entsprechen etwa dem Honorar, dass alle Gynäkologinnen und Gynäkologen von den gesetzlichen Krankenkassen bekommen“, sagt der Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg von der Universität Hamburg, der die Studie wissenschaftlich begleitet hat. Den Ergebnissen zufolge werden IGeL-Angebote in Bayern und Baden-Württemberg häufiger genutzt als in anderen Bundesländern – und von Frauen doppelt so oft wie von Männern.
Die Befragung zeigt zudem, dass viele Patienten wenig über den Nutzen und die potenziellen Risiken der IGeL wüssten. Nur jeder vierte Befragte gab an, sich gut informiert zu fühlen. „Der bedrückende Befund ist, dass Patientinnen und Patienten aus Unwissenheit und Sorge um ihre Gesundheit große Summen für fragwürdige und sogar schädliche Leistungen ausgeben“, sagt Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des MD Bund. Derzeit liegt nur für ein Viertel der IGeL eine wissenschaftliche Bewertung des MD vor. Unter den 56 untersuchten Angeboten stufen die Experten 30 als „tendenziell negativ“ oder „negativ“ ein, 23 erhalten die Bewertung „unklar“ – etwa weil dazu nicht genügend Studien vorliegen. Nur drei IGeL bekommen die Note „tendenziell positiv“: Akupunktur zur Migräneprophylaxe, Lichttherapie bei Winterdepression und die Immunprophylaxe wiederkehrender Blasenentzündungen.
Unnötige Eingriffe durch falsch positive Ergebnisse
Gerade unter den besonders populären Zusatzleistungen sind nach Ansicht des MD viele, die mehr schaden als nützen können. Als Beispiel nennt Gronemeyer die Ultraschalluntersuchung von Eierstöcken und Gebärmutter, die 2023 von rund 3,3 Millionen Frauen in Anspruch genommen wurde. Die Untersuchung sei zwar unschädlich, erhöhe aber Studien zufolge das Risiko einer unnötigen Entfernung der Eierstöcke auf das Dreieinhalbfache. Zugleich gehe die Zahl krebsbedingter Todesfälle durch die Untersuchung nicht zurück. Bei der Augeninnendruckmessung, die 2,4 Millionen Mal vorgenommen wurde, gebe es wiederum „keine Belege dafür, dass die Untersuchung zur Verminderung der Schäden durch Grünen Star führt“. Und der PSA-Test, der als „tendenziell negativ“ eingestuft wird, berge das Risiko unnötiger Biopsien oder Operationen an der Prostata.
„Wir sind nicht generell dagegen, dass Patienten IGeL nutzen“, so Gronemeyer. Sie müssten aber besser über Nutzen und Risiken informiert werden – nicht nur im Gespräch mit dem Arzt. Der Chef des MD Bund fordert darüber hinaus eine Verpflichtung für Arztpraxen, schriftliches Informationsmaterial von unabhängigen Stellen zu den angebotenen IGeL anzubieten. Eindeutig schädliche Leistungen müssten vom Markt verschwinden. Die Stiftung Patientenschutz plädiert für eine vierzehntägige Bedenkzeit zwischen dem Angebot und der entsprechenden Untersuchung oder Behandlung. Eine Liste der wichtigsten Zusatzleistungen und ihrer Bewertungen gibt es im Internet unter www.igel-monitor.de