Nicht alles möglich, aber mehr als erwartet

„Wir dachten im Vorfeld, es gebe noch viel mehr Einschränkungen“, sagt TSG-Judoka Katharina Menz zur Olympiade in Tokio in Coronazeiten. Die Stimmung in der Halle sei auch ohne Fans gut gewesen. Streifzüge durch die Stadt oder der Besuch anderer Sportarten bleiben aber tabu.

Die olympische Bronzemedaille ist nicht nur nach dem Geschmack von TSG-Judoka Katharina Menz, sondern sie ist auch eine Auszeichnung für die Sportstadt Backnang.Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Die olympische Bronzemedaille ist nicht nur nach dem Geschmack von TSG-Judoka Katharina Menz, sondern sie ist auch eine Auszeichnung für die Sportstadt Backnang.Foto: A. Becher

Von Steffen Grün

Katharina Menz muss dringend in den Baumarkt. Um ihre olympische Bronzemedaille an die Wand hängen zu können, braucht sie einen besonders dicken Nagel, denn „sie ist extrem schwer“, verrät die 30-Jährige und lacht. Wo genau das Edelmetall hinkommt, das es für Rang drei im Mixed-Teamwettbewerb gab, hat sich die TSG-Judoka noch gar nicht überlegt. Das hat nichts damit zu tun, dass sie selbst nicht zum Einsatz kam „und es sich vielleicht noch besser angefühlt hätte, wenn ich auf der Matte meinen Teil dazu beigetragen hätte“. Es liegt vielmehr daran, dass es Katharina Menz noch nie so wichtig war, Besucher mit den Nachweisen ihrer Erfolge zu beeindrucken. Fürs funkelnde Mitbringsel aus Tokio wird wohl ein Plätzchen bei den anderen Medaillen herausspringen, verkündet sie schließlich, als sie noch einmal kurz über die Frage nachgedacht hat.

Vielleicht kriegt diese bronzene Plakette, die für viele andere Sportler ein Traum geblieben ist, aber doch noch einen besonderen Ehrenplatz. Dann, wenn Menz die Eindrücke beim weltgrößten Sportereignis verarbeitet hat. Dafür blieb nicht genug Zeit, seit sie nach über zwei Wochen in Japans Mega-Metropole am vergangenen Sonntagabend ins beschauliche Ländle zurückkehrte. Von Frankfurt ging es zunächst zur Familie nach Waldrems und am Montag dann nach Magstadt, wo sie inzwischen lebt. Gestern Morgen fuhr sie wieder nach Backnang, um sich beim Empfang der Stadt ehren zu lassen. „Ich habe noch nicht ganz realisiert, dass ich bei den Olympischen Spielen war“, berichtet das Superleichtgewicht, das bei einem Wettkampf maximal 48 Kilogramm auf die Waage bringen darf: „Es kam mir eher so vor, als wäre ich von einem normalen Turnier nach Hause gekommen.“

Die Abgeklärtheit erklärt sich nicht zuletzt damit, was Menz in ihrer Karriere bereits alles erlebt hat. „Ich kannte das Konzept mit Sportlerdorf und Eröffnungsfeier schon von der Universiade und den European Games“, so Backnangs Vorzeigejudoka: „Es hat mich daher auch nicht so krass erschlagen, als ich ins olympische Dorf gekommen bin.“ Nur, dass die Mensa und alle anderen Bereiche in Tokio noch einige Nummern größer waren und weitaus mehr Sportler betreut wurden. Von der Maskenpflicht abgesehen, konnten sich die Athleten in ihrem Areal frei bewegen, berichtet Menz: „Wir dachten im Vorfeld, es gebe noch viel mehr Einschränkungen.“ Die Stimmung in der Halle, die sie vom Grand Slam kannte, sei auch gut gewesen. Dafür sorgten die Judokas aller Nationen, die in voller Teamstärke ihre kämpfenden Kollegen anfeuerten. „Mit Zuschauern wäre es aber noch einmal cooler gewesen“, glaubt die Murrtalerin. Es waren eben Spiele unter Coronabedingungen, „aber insgesamt war es viel besser als erwartet“.

Das gilt nicht für ihren eigenen Einzelwettkampf, der nach dem ersten Duell beendet war. „Ich kann mir nichts vorwerfen, aber enttäuscht bin ich immer noch“, gibt Menz zu: „Es ist sehr schade, weil ich mir viel mehr vorgenommen hatte.“ Immerhin gab es als dickes Trostpflaster die Medaille mit der Mannschaft, das erste olympische Edelmetall überhaupt für einen Backnanger Sportler. „Die Freude war riesig. Was hätte es Schöneres geben können, als dass alle eine Medaille mit nach Hause nehmen.“ Das persönliche i-Tüpfelchen wäre es gewesen, wenn sie doch zum Einsatz gekommen wäre. Weil es beim Teamevent in ihrer Klasse keinen Kampf gab und sie in der Kategorie bis 57 Kilogramm nur im Falle einer Verletzung von Theresa Stoll eingesprungen wäre, war das nicht zu erwarten gewesen. Als den Deutschen zu Beginn aber das Flüchtlingsteam zugelost wurde und sie klar favorisiert waren, machte sich Menz doch etwas Hoffnung. Vergeblich. „Theresa wollte das Duell quasi als Aufwärmkampf haben. Dafür hatte ich Verständnis, das Team geht vor.“ Sie tat abseits der Matte alles, um zum Erfolg beizutragen, daher hat auch sie die Medaille absolut verdient. Nur ein Beispiel: Als Stoll auf die Fahrradrolle kletterte, um noch Gewicht zu verlieren, kletterte die Backnangerin auf das daneben stehende Gerät, „damit sie das nicht alleine machen muss“. Dieser Teamgedanke und die Größe, eigene Interessen hintan zu stellen, trugen sicherlich mit dazu bei, dass es zu Bronze reichte.

Nicht einmal 24 Stunden nach dem großen Erfolg hockten Menz und ihre Mitstreiter bereits im Flugzeug gen Heimat. Ohne Corona „wären wir viel länger in Tokio geblieben und hätten uns noch andere Sportarten angeschaut“. In dieser Hinsicht hatte die Pandemie eben doch spürbare Auswirkungen. Auch war es während des Aufenthalts nur erlaubt, in die Judohalle zu gehen, alle anderen Sportstätten waren wie auch Trips in die Stadt tabu. „Es ist natürlich etwas anderes, die Wettkämpfe vor Ort anzuschauen als im olympischen Dorf auf dem Tablet“, hadert Menz zumindest in diesem Punkt mit den coronabedingten Einschränkungen: „Leichtathletik wäre toll gewesen, auch Turnen, Wasserspringen, Basketball oder Handball hätten mich interessiert.“

So blieb’s bei der Pendelei zwischen Unterkunft und Judohalle. Ob es auch deshalb ein Thema sein könnte, 2024 in Paris einen weiteren Start anzustreben und auf unbeschwerte Spiele zu hoffen, lässt Menz offen: „Das kann ich noch nicht zu 100 Prozent sagen, aber es ist nicht ausgeschlossen.“

Die TSG-Judokas drücken den Spielen ihren Stempel auf

Backnangs Bundesliga-Team war mit acht Frauen bei den Olympischen Spielen vertreten. Neben Katharina Menz (bis 48 Kilogramm) kämpften drei weitere Deutsche: Theresa Stoll (bis 57, Stammverein TSV Großhadern), Martyna Trajdos (bis 63, Eimsbütteler TV) und Anna-Maria Wagner (bis 78, KJC Ravensburg). Dazu kamen Sanne van Dijke (bis 70, Niederlande), Patricia Fernandes Sampaio (bis 78, Portugal), Anamari Velensek (bis 78, Slowenien) und Irina Kindzerskaya (über 78, Aserbaidschan). Nur zwei der acht Judokas kehrten ohne Medaille aus Japan zurück.

Drei Sportlerinnen des zweimaligen deutschen Mannschaftsmeisters holten Bronze im Einzel. In der Kategorie bis 78 Kilogramm verlor Wagner nur das Halbfinale gegen die spätere Olympiasiegerin Shori Hamada (Japan). Eine Niederlage, die zudem eher unglücklich war. In Runde eins hatte die 25-jährige Weltmeisterin ihre TSG-Kollegin Sampaio mit einem vorzeitigen Sieg bezwungen. Van Dijke (26) behielt in der Klasse bis 70 Kilogramm im Duell um Platz drei gegen die Deutsche Giovanna Scoccimero die Oberhand. Bronze gab es auch für Kindzerskaya (30), die sich im kleinen Finale gegen die Chinesin Xu Shiyan behauptet hatte.

Mit Wagner, der 32-jährigen Ex-Europameisterin Trajdos, der 25-jährigen WM-Dritten Stoll und der 30-jährigen EM-Dritten Menz kamen vier der sechs Frauen, die Bronze mit Deutschlands Mixed-Team eroberten, von der TSG. Nur gegen Gastgeber Japan gab es im Viertelfinale eine 2:4-Niederlage. Zuvor hatte die DJB-Truppe das sogenannte Refugee-Team, das aus Judokas bestand, die aus ihrem Heimatland flüchten mussten, mit 4:0 bezwungen. In der Hoffnungsrunde gegen die Mongolei und im Kampf um Rang drei gegen die Niederlande siegte Deutschland jeweils mit 4:2. Gekämpft wurde im Mixed mit jeweils drei Frauen und drei Männern in den Gewichtsklassen bis 57, bis 70 und über 70 Kilogramm sowie bis 73, bis 90 und über 90 Kilogramm.

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Erstellt:
7. August 2021, 06:00 Uhr

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