Ortsfamilienbuch Murrhardt: Fundgrube für Familiengeschichte
Beim jüngsten Geschichtstreff präsentiert Historiker Andreas Kozlik sein Langzeitprojekt Ortsfamilienbuch Murrhardt, das er ehrenamtlich erarbeitet. Voraussichtlich in etwa zwei Jahren wird das vom 16. bis zum 20. Jahrhundert reichende Verzeichnis veröffentlicht werden.
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Das Ortsfamilienbuch Murrhardt wird ein bedeutendes genealogisches und sozialhistorisches Grundlage- und Nachschlagewerk: Nach Familienstrukturen geordnet verzeichnet es alle Personen, die von 1559 bis 1914 in der Walterichstadt und in ihren vielen Teilorten gelebt haben. Es gibt Geburts-, Heirats- und Sterbedaten, Berufe und Ämter, Religion oder Konfession, Todesursachen, Zu- und Wegzüge an, womit es Forschungen zu unterschiedlichen Themen und Fragestellungen ermöglicht.
Andreas Kozlik, Vorsitzender des Geschichtsvereins Murrhardt, hat sein Projekt vielen Interessierten beim jüngsten Geschichtstreff im Medienraum des Carl-Schweizer-Museums vorgestellt. Seit 14 Jahren erarbeitet er ehrenamtlich dieses Mammutwerk, das mehr als 3500 Druckseiten umfassen und in etwa zwei Jahren veröffentlicht werden wird. Die Idee dazu kam ihm vor etwa 30 Jahren, als Historiker Gerhard Fritz mit einem Interessententeam Kirchenbücher für eine historisch-demografische Studie auswertete, was damals noch im evangelischen Pfarramt möglich war, erzählte Kozlik.
Ein Zweck des Ortsfamilienbuchs ist die während der nationalsozialistischen Diktatur zum Nachweis „arischer“ Vorfahren missbrauchte Genealogie oder Ahnenforschung. Die Daten für Murrhardt sind sehr umfangreich: „Jede Familie erhält eine Nummer, insgesamt sind es rund 11000“, sagte Kozlik. Gleichlautende Familiennamen ordnet er chronologisch.
Ab 1559 musste jede Pfarrgemeinde im Herzogtum Württemberg Kirchenbücher führen
Den zeitlichen Umfang wählte Kozlik bewusst: Ab 1559 musste jede Pfarrgemeinde im Herzogtum Württemberg Kirchenbücher führen, die Hauptquellen für das Verzeichnis. In Murrhardt sind Tauf- und Ehebücher ab 1559 vorhanden, Totenbücher indes erst ab 1626.
Ab 1808 erstellten Pfarrer Familienregister, was die Auswertung der Kirchenbücher vereinfacht. Die Kirchenbücher befinden sich seit etwa zwölf Jahren im Landeskirchlichen Archiv in Stuttgart-Möhringen, die Mikrofilme können über gebührenpflichtige Internetseiten wie www.archion.de eingesehen werden. Nach Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 wurden die Standesämter 1876 eingerichtet, die Personenstandsregister führen, welche die Kirchenbücher ablösten. Seit 2009 können diese Standesamtsbücher in Stadt- und Gemeindearchiven eingesehen werden.
„Datenschutz gilt nur für lebende Personen, die nicht im Ortsfamilienbuch vorkommen sollen“, erklärte Kozlik, daher reichen dessen Angaben nur bis 1914, so der Historiker. Räumlich deckt das Ortsfamilienbuch das Gebiet der historischen Kirchengemeinde Murrhardt ab.
„Das Ortsfamilienbuch ermöglicht eine Vielzahl von Erkenntnissen“
Weiter wertet Kozlik öffentlich zugängliche Quellen verschiedener Art aus wie zum Beispiel Kauf- und Lagerbücher, Inventuren und Teilungen, sprich Vermögensbeschreibungen, und andere Archivalien, auch aus Nachbargemeinden. „Das Ortsfamilienbuch ermöglicht eine Vielzahl von Erkenntnissen über Verwandtschaftsbeziehungen, Herkunft und Verbleib von Familien und Personen, Migrationsbewegungen, Berufe und Ämter, aus denen Listen erstellt werden können, aber auch die Korrektur falscher Informationen und Gerüchte“, betont der Historiker.
So kann man die Herkunft von Familien ermitteln, die aus der Region nach Murrhardt zuzogen, Einwanderungen aus Nachbarländern wie etwa von Waldarbeitern aus Österreich nach dem Dreißigjährigen Krieg, ebenso Auswanderungen, die 2023 Thema eines Geschichtstreffs sein werden. Bis 1914 gab es in Murrhardt keine Juden, aber Personen, die jüdische Ehepartner hatten, hat Kozlik recherchiert.
Aufschlussreich sind darüber hinaus auch Kirchenbucheinträge über Personen, die „zufällig“ in der Walterichstadt geboren wurden, heirateten oder starben. So lebten 1693 in Murrhardt viele Flüchtlinge aus Orten vom Neckarraum bis Backnang, die eingefallene französische Soldaten und Banden zerstört hatten. Während des Murrbahnbaus von 1876 bis 1880 lebten viele ortsfremde Arbeiter und deren Familien aus Norditalien und Böhmen im Raum Murrhardt, die ihre Kinder in der nahe gelegenen katholischen Kirchengemeinde Hausen an der Rot taufen ließen.
Im Lauf der Zeit veränderten sich Bezeichnungen kleiner Siedlungen mehrfach
Bei der Erstellung der Einträge stieß der Historiker auf diverse Probleme. Im Lauf der Zeit veränderten sich Bezeichnungen kleiner Siedlungen mehrfach, daher ist teils unklar, wo sich welcher Ort befindet. Zudem fehlen Einträge und Seiten, auch weisen Kirchenbücher teils größere Lücken auf. So im Dreißigjährigen Krieg, als Mönche das Murrhardter Kloster zeitweise wieder besetzten und es Streit zwischen evangelischen und katholischen Bürgern, Beamten und Geistlichen gab.
„Aus verschiedenen Quellen weiß man, dass damals viele Kinder in der Pfarrgemeinde Kirchenkirnberg getauft wurden, die nie zu Murrhardt gehörte. Dies ist zwar nicht konkret nachweisbar, da keine Taufbücher vorhanden sind, doch kann man fehlende Kirchenbucheinträge aus anderen Quellen und Archivalien rekonstruieren.“ Manche Einträge seien kaum lesbares „Gekrakel“, hinzu kommen teils kuriose Fehler wie das Datum 31. April 1628.
Abschließend wies Andreas Kozlik auf „Nebenprodukte“ des Ortsfamilienbuchs hin: ein Verzeichnis der Personen, die von Murrhardt nach Amerika auswanderten, eine Aufstellung Murrhardter Familien vor 1700, das in Arbeit befindliche Häuserbuch für Gebäude vor dem Stadtbrand 1765, das er aus Kauf- und Lagerbüchern erstellt, sowie Teilortsfamilienbücher für Nachbarorte. Weitere Informationen bietet die Internetseite www.andreas-kozlik.de.
Ab 1559 musste jede Pfarrgemeinde im Herzogtum Württemberg Kirchenbücher führen.