179 Tote bei Flugzeugabsturz

Unglück erschüttert Südkorea

Im Südwesten Südkoreas stürzt am Sonntag ein Flugzeug ab, fast alle Insassen sind ums Leben gekommen. In einem Land, wo Desaster immer wieder vorkommen, geschieht dieses zur Unzeit.

Einsatzkräfte am Unfallort

© dpa/Ahn Young-joon

Einsatzkräfte am Unfallort

Von Felix Lill

Im Wartesaal des Flughafens Muan wurde am Sonntag sehr viel geweint. „Mein Sohn, meine Schwiegertochter und mein Enkel waren alle im Flugzeug“, sagte die 64-jährige Choi Soon-ok gegenüber der südkoreanischen Tageszeitung JoongAng Ilbo. „Wie konnten sie auf diese Weise von uns gehen? Und nicht einfach eine, sondern alle drei?“ Es ist eine Frage, die sich so vermutlich sehr viele Menschen in Südkorea seit Sonntag stellen: Wie konnte diese Tragödie passieren?

Seelische Erschütterungen

Am Sonntagmorgen, um 9 Uhr, stürzte eine Boeing-Maschine der Fluglinie Jeju Air, Nummer 7C 2216 aus Bangkok kommend, am Zielflughafen in Muan ab. Die Stadt, die sich 288 Kilometer südwestlich von der im Norden der Halbinsel gelegenen Hauptstadt Seoul befindet, ist daraufhin zur Katastrophenzone erklärt worden. Die Feuerwehr rückte noch am Morgen aus, war aber vor allem damit beschäftigt, Menschen zu bergen. Am Abend südkoreanischer Zeit waren von 181 Insassen 179 Todesfälle bestätigt.

Im ostasiatischen Land herrscht seitdem Hektik, Schlagzeilen überwerfen die vorigen. Neben der seelischen Erschütterung über die hohe Opferzahl – in Kombination mit den Bildern weinender Menschen, die am Flughafen eigentlich nur ihre Liebsten abholen wollten – besteht sofort auch der Verdacht, ob es sich um menschliches Versagen handelt. Die Nachrichtenagentur Yonhap schrieb von „noch einer weiteren“ tödlichen Tragödie „in der Geschichte des Landes.“

Warnung vor einem Vogelschwarm

Die Ursachen sind noch unklar, und es könnte Monate dauern, bis diese vollends bekannt sind. Wenige Minuten vor dem Absturz warnte jedenfalls die Flugsicherung vor einem Vogelschwarm. Bei der missglückten Landung rutschte die Maschine über die Landebahn hinaus, kollidierte mit einer Wand. Allerdings haben Behörden auch schon erklärt, dass der Crash wohl mit Schäden mit den Vorkehrungen für die Landung, wie etwa den Rädern, zusammenhänge.

Erste Experteneinschätzungen deuten auf eine Kombination unglücklicher Umstände und Versagen hin. So erklärte Jeong Yun-sik, Professor für Luftfahrt an der Katholischen Kwandong-Universität gegenüber der Zeitung Chosun Ilbo: „Selbst wenn das Hydrauliksystem ausfällt, sollte es Hilfsvorrichtungen geben, aber deren Aktivierung dauert seine Zeit. Es dauerte weniger als 3 bis 4 Minuten, bis sich der Unfall ereignete, während die Aktivierung der Hilfsvorrichtung bis zu 15 Minuten dauern kann.“

Zudem sagte Choi Gi-young, Professor für Luft- und Raumfahrttechnik an der Inha-Universität: „Bei der Landung auf dem Rumpf hätte der Luftwiderstand durch die Nutzung der Flügel zum Abbremsen erhöht werden müssen, aber das ist auf den Aufnahmen nicht klar zu sehen.“ So geht Choi von Schäden aus: „Es scheint, dass es Probleme mit beiden Triebwerken gab, und wenn die Triebwerke nicht betriebsbereit sind, werden die Befehle des Piloten möglicherweise nicht vollständig übermittelt.“

Menschengemachte Tragödien

Es ist eine Tragödie, die kaum zu Südkorea passen will. Das Land hat einen rasanten Aufstieg hinter sich. Nach dem dreijährigen Koreakrieg von 1950 bis 1953, der Millionen Todesopfer gefordert und die Koreanische Halbinsel als einen der ärmsten Flecken Erde des Planeten zurückgelassen hatte, stieg Südkorea fortan in hohem Tempo zu einer Industrienation auf. Kaum irgendwo ist das Internet schneller, die Smartphonedichte höher. Südkoreas Bruttoinlandsprodukt pro Kopf übersteigt mittlerweile das von Japan.

Allerdings gerät Südkorea trotz seines ökonomischen Fortschritts auch immer wieder mit menschengemachten Katastrophen in die weltweiten Schlagzeilen. Vor gut zwei Jahren, an Halloween 2022, kamen etwa während einer Massenpanik im Seouler Partyviertel Itaewon 159 Menschen ums Leben, knapp 200 weitere wurden verletzt. Hintergrund war die erste Halloweenparty ohne die vorigen Kontrollen während der Pandemie – aber eben auch eine mangelhafte Planung und Besetzung der Polizei.

Die Katastrophe kommt zur Unzeit

Auch andere Ereignisse gerieten in der jüngeren Vergangenheit auf eine Weise ins Rampenlicht, wie es sich niemand gewünscht hätte, und häufiger wurden dann die infrastrukturellen und personellen Kapazitäten diskutiert, die einem Industriestaat wie Südkorea kaum angemessen schienen. Im Jahr 2005 etwa starben elf Leute im Gedränge bei einem Konzert in Sangju, südöstlich von Seoul.

2014 folgte ein Fährunglück, als das Passagierschiff Sewol auf dem Weg zur südlichen Insel Jeju plötzlich unterging, mehr als 300 Personen starben. Auch weil 250 davon Schülerinnen und Schüler aus einer eher unterprivilegierten Gegend waren, war der folgende Protest besonders groß. In Reaktion auf den Unfall zögerte die Regierung mit Handeln, was zu noch mehr Protesten führte. Die damals regierende Präsidentin Park Geun-hye wurde zusehends unpopulär. Der Vorfall war der Anfang von ihrem Ende.

Auch diesmal kommt eine Katastrophe für die Regierung zu einer besonders ungünstigen Unzeit. Denn seit einem knappen Monat erleidet Südkorea eine Staatskrise. Am 3. Dezember rief Yoon Suk-yeol, der mittlerweile seines Amtes enthoben wurde und vor einem Gerichtsprozess steht, das Kriegsrecht aus, wollte offenbar eine Art Diktatur errichten. Im zuvor schon geteilten Parlament zeigt sich mittlerweile, dass das Land bis auf Weiteres unregierbar geworden ist. Nun scheint das Risiko hoch, dass der Flugzeugabsturz im Zusammenhang der Staatskrise politisiert wird.

Info

Präsident Letzten Freitag wurde der Nachfolger von Yoon Suk-yeol, Han Duck-soo, der die Geschäfte des Präsidenten in einer Übergangsrolle übernommen hatte, durch das Parlament seines Amtes enthoben. Während Yoon Suk-yeol der konservativen People Power Party (PPP) angehört, hat im Parlament die liberale Oppositionsführerin Demokratische Partei (DP) die Mehrheit inne. Schon vor Yoons gescheiterter Kriegsrechtserklärung waren Kompromisse schwierig. Nun scheinen sie unmöglich.

Opposition Mit dem Flugzeugabsturz muss sich nun der neue Interimspräsident Choi Sang-mok auseinandersetzen, der bis Freitag noch Finanzminister war. Die DP-geführte Opposition verkündete vergangene Woche, dass sie bereit sei, auch den nächsten Interimspräsidenten aus dem Amt zu befördern. Ziel der DP ist es, die Staatskrise derart zu beheben, dass der Fall um Yoon geklärt und Neuwahlen eingeleitet werden.

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Erstellt:
29. Dezember 2024, 14:14 Uhr
Aktualisiert:
29. Dezember 2024, 15:51 Uhr

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