Von magischen Speisen und Tränken
Märchenerzählerin Petra Weller verzaubert rund 30 Zuhörer beim Online-Märchenabend der Volkshochschule Murrhardt mit wundersamen kulinarischen Geschichten aus Europa und dem Orient.
Von Elisabeth Klaper
MURRHARDT. Auf eine vergnügliche Reise in die Welt der Märchen zu speziellen kulinarischen Genüssen nahm Petra Weller rund 30 Zuhörer mit. Sie waren bei der Online-Märchenstunde der Volkshochschule Murrhardt zum Thema „Die wunderliche Gasterei“ teils sogar aus anderen Bundesländern zugeschaltet. Dafür hatte die Märchenerzählerin ein „kleines Buffet“ aus diversen Lebensmitteln, Ess- und Trinkgefäßen vorbereitet. Sie symbolisierten „eine reich gedeckte Tafel“ verschiedenartiger Märchen, und die Zuhörer konnten auswählen, was sie probieren wollten.
„Die Märchen und Geschichten, die ich erzähle, stammen aus verschiedenen europäischen Ländern und dem Orient. Sie kommen aus unterschiedlichen Quellen, also keiner bestimmten Märchensammlung“, erklärte Weller auf Nachfrage. Mit ihrer ausgeklügelten und variantenreichen, atmosphärisch und emotional stimmigen Vortragsweise verzauberte sie die Zuhörer. Damit entführte sie diese in die meist alten Märchen aus verschiedenen Kulturen, in denen Speisen, Getränke und Heilkräuter oft magische Wirkungen entfalteten.
Den Auftakt bildete ein Märchen aus Irland, „wo Feen, Elfen und Geister viel präsenter sind als bei uns“. Am 31. Oktober, dem Vorabend des keltischen Winterfests Samhain am 1. November, „wenn die Tore zur Anderswelt geöffnet sind“, wollte ein Mädchen Wasser vom Brunnen holen, doch der Krug zerbrach und plötzlich befand sie sich in einer fremden Welt. Magisch zog es sie zu einem großen Feuer auf einem Hügel, wo ein schöner junger blonder Mann, wohl ein Prinz, sie zum Tanz aufforderte, wozu eine wundersame Melodie erklang.
Beim Reigentanz vergaß das Mädchen alles um sich herum. Da führte der Fremde sie in einen prächtigen unterirdischen Saal mit einer Tafel voller Köstlichkeiten und lud sie zum Festmahl ein. Als das erschöpfte, durstige Mädchen aber trinken wollte, flüsterte ihr jemand von hinten zu: „Trink und iss nichts, sonst kommst du nicht mehr nach Hause.“ Ein fremder rothaariger Mann rettete sie aus der bedrohlichen Situation, und auch mithilfe eines heilkräftigen Gundelrebezweigs gelangte sie unbehelligt wieder heim.
Den Titel des Abends „Die wunderliche Gasterei“ hatte Petra Weller von einer skurrilen Geschichte der Brüder Grimm abgeleitet, die in deren Sammlung der Kinder- und Hausmärchen bis zur zweiten Auflage 1819 enthalten war und die sie auf Schwäbisch erzählte. Eine Blutwurst lud ihre Freundin, die Leberwurst, zum Essen ein. Als diese aber ins Haus kam, wurde es ihr unheimlich zumute, denn auf der Treppe stand komisches Zeug, Kehrwisch und Kutterschaufel prügelten sich. Trotzdem ging sie in die Stube und erzählte es der Blutwurst, die komisch lachte und in die Küche ging. Plötzlich war jemand da und warnte die Leberwurst: „Nimm dich in Acht, du bist in einer Mörderhöhle gelandet, mach dich fort, wenn dir dein Leben lieb ist.“ Sofort rannte die Leberwurst davon, drehte sich aber noch mal um. Da stand die Blutwurst am Fenster mit einem langen Küchenmesser und rief: „Hätt ich dich, so wollt ich dich!“ Eine Schauergeschichte von falscher Freundschaft, heimtückischem Verrat und glücklicher Flucht im letzten Augenblick sowie vom geheimen Eigenleben der unbelebten Dinge.
Eine in ganz Europa in verschiedenen Variationen bekannte Geschichte ist „Die Nagelsuppe“. Eine unfreundliche, geizige, neugierige Alte lebte allein in einem Häuschen im Wald. An einem feuchtkalten Herbstabend klopfte dort ein junger, durchnässter, hungriger Mann, bat um ein Nachtlager und etwas zu essen. „Ich habe einen Nagel, gib mir einen Topf und heißes Wasser, dann koche ich daraus eine Suppe“, sagte er. Neugierig beobachtete die Alte den Jungen, der sie um je „ein bisschen“ Mehl, Salz, Gemüse und Speck bat, was sie aus der Speisekammer holte. Daraus entstand eine so gute Suppe, wie sie noch nie gegessen hatte.
Aus Russland stammte das Märchen um einen Zaubertrank gegen Eheprobleme. Eine alte Pilgerin gab einer jungverheirateten Frau, deren Mann ständig tobte und schimpfte, ein Fläschchen mit einem Trank aus sieben Kräutern. Davon sollte sie jeweils ein kleines Schlückchen nehmen und im Mund behalten, bis des Mannes Zorn verraucht war. Das half so gut, dass der Mann sein Verhalten komplett änderte, worauf die Alte, die keinen Kräutertrank mehr hatte, der jungen Frau riet, das Fläschchen mit klarem Brunnenwasser aufzufüllen und dasselbe auch für ihren Mann bereitzustellen.
Den Abschluss bildete ein orientalisches Märchen, wahrscheinlich aus Persien. Darin befahl ein Mann seiner Frau, einen Sack Getreide zu mahlen, doch sie erwiderte, er solle ihn zur Dorfmühle bringen. Verärgert beschwerte sich der Mann beim Kadi über seine Frau, der ihr eine Strafpredigt über den Gehorsam einer Ehefrau halten wollte und zu ihr kam. Zufällig löste sich ihr Schleier und er sah ihre Schönheit.
Als plötzlich der Ehemann heimkam, forderte sie den Kadi auf, sich rasch in ein weißes Tuch einzuwickeln und die Nachbarin zu mimen, die ihr beim Getreidemahlen half. Nun verwickelte die Frau ihren Mann in ein langes Gespräch, bis der verhüllte Kadi den ganzen Getreidesack gemahlen hatte. Als sie ihn wegschickte, riss sich der vor Wut kochende Kadi das Tuch vom Kopf und rannte fort. Wegen des Streits ums Getreidemahlen ging das Ehepaar später gemeinsam zum Kadi, dem nichts anderes übrig blieb, als den Mann aufzufordern, das Getreide zur Mühle zu bringen.