Gen-Forschung

Wann und wie entstand der Gen-Code des Lebens?

Die Basen-Abfolge unserer DNA verschlüsselt die Bauanleitungen für Proteine über die Abfolge ihrer Grundbausteine, der Aminosäuren. Doch der genetische Code für diese Proteinbausteine könnte zu Beginn des Lebens anders ausgesehen haben als heute, wie eine neue Studie nahelegtn.

Diese Illustration der Erde zu Beginn des Lebens zeigt einen Vulkan und einen Tümpel voll Wasser. Es ist möglich, dass sich die frühesten Lebensformen in solchen Umgebungen entwickelt haben (KI-generiert).

© Mark Garlick/Science Source

Diese Illustration der Erde zu Beginn des Lebens zeigt einen Vulkan und einen Tümpel voll Wasser. Es ist möglich, dass sich die frühesten Lebensformen in solchen Umgebungen entwickelt haben (KI-generiert).

Von Markus Brauer

Von der Bakterie bis zum Blauwal nutzen nahezu alle Lebewesen der Erde denselben genetischen Code. Sie alle speichern die genetischen Informationen, die ihr individuelles Aussehen und ihre Lebensweise bestimmen, in ihrer DNA oder RNA – über die Abfolge der vier Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin beziehungsweise Uracil bei der RNA.

Diese Basenfolge wird dann in den Zellen in Kombinationen von 20 verschiedenen Aminosäuren übersetzt, durch die Proteine mit verschiedenster Funktion entstehen. Diesen universellen Ablauf gab es schon in dem frühsten gemeinsamen Vorfahren allen Lebens (LUCA), der vor rund vier Milliarden Jahren auf der Erde lebte.

Zur Info: Gene – Gebrauchsanweisungen für Zellen

Das Erbgut des Menschen – auch Genom genannt – besteht aus mehr als 22 000 Genen und enthält sämtliche Erbinformationen. Warum beispielsweise ein Individuum schwarze und keine blonden Haare hat, wieso seine Augen grau und nicht braun sind oder weshalb sein Intelligenzquotient höher ist als der anderer.

  • Zellen sind die kleinste biologische Einheit jedes Organismus. Der Mensch besteht aus Billionen von Zellen. Erst durch ihr perfektes Zusammenspiel entsteht Leben. Damit die Zellen wissen, wie sie aussehen und funktionieren sollen, enthalten sie in verschlüsselter Form Informationen, die sich in ihrem Zellkern befinden. Dieses Datenmaterial, das für ein bestimmtes Merkmal des Organismus verantwortlich ist, nennt man Gen.
  • Der Gen-Code – also die Erbinformationen im Zellkern – ist auf den Chromosomen gespeichert. Die in den Chromosomen gespeicherte Information kann mit einer Gebrauchsanweisung für alle Zellen des Körpers verglichen werden. Jede Zelle enthält dieselben Chromosomen und damit denselben Satz von Genen. Jede menschliche Zelle besteht aus 46 solcher Chromosomen: 23 väterliche und 23 mütterliche Erbgutabschnitte, die in der befruchteten Eizelle zusammenfinden.
  • Man muss sich Chromosomen als lange, fadenförmige Gebilde vorstellen, die aus DNA (Desoxyribonukleinsäure; englisch: DNA - „Deoxyribonucleic acid“) und Proteinen (Eiweißmolekülen) bestehen. Die DNA trägt die Erbinformation bei allen Lebewesen und den DNA-Viren.
  • RNA – Ribonukleinsäure – hat wie DNA eine wichtige, aber andere Funktion in der Genetik: Beides sind Nukleinsäuren. Während die DNA den genetischen Code des Erbguts und somit den Bauplan des Lebens speichert, hat die RNA eine zentrale Rolle bei der Proteinbiosynthese sowie wichtige regulatorische Funktionen.
  • Nukleinsäuren sind aus einzelnen Bausteinen – den sogenannten Nukleotiden – aufgebaute Makromoleküle, die bei allen Organismen (Viren und Zell-Organismen) die genetische Informationen enthalten.

Wie entwickelte sich unser Gencode?

„Es ist ein verblüffend komplizierter Prozess, und dennoch ist unser Code überraschend gut. Er ist nahezu optimal für eine ganze Reihe von Dingen“, sagt Studienautorin Joanna Masel von der University of Arizona in Tuscon.

Bisher gehen Forscher davon aus, dass sich dieser Gencode in Etappen entwickelt hat. Doch wie sahen diese Etappen aus und wie lange gibt es diesen genetischen Basen-Code in seiner jetzigen Form schon? Die Antwort auf diese Frage ist unter Experten umstritten und bislang nicht abschließend geklärt.

Bisherige Studien wie das berühmte Urey-Miller-Experiment aus dem Jahr 1952 simulierten die Entwicklung des genetischen Codes, indem sie die Lebensbedingungen auf der Ur-Erde im Labor nachbauten.

Diese Versuche konnten zwar beweisen, dass mehrere Aminosäuren und andere Lebensbausteine aus nicht-lebender Materie durch spontane chemische Reaktionen in der Ursuppe entstehen können, aber nicht, wann und wie es dazu kam, dass sich diese Bausteine jeweils im genetischen Code verankerten.

Aminosäurenvergleich erlaubt Blicke zurück in die Urzeit

Ein Forscherteam um Sawsan Wehbi von der University of Arizona ist dem Ursprung des genetischen Codes nun anhand einer neuen statistischen Methode nachgegangen. Damit analysierten Webhi und ihre Kollegen die Aminosäure-Abfolgen der Proteine von Lebewesen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Erdgeschichte lebten.

Ihre Studie ist im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht.

Order of amino acid recruitment into the genetic code resolved by last universal common ancestor’s protein domains | PNAS https://t.co/eiwMlfR2DI@PNASNews — Molecular Microbiology (@CommichauM) December 30, 2024

Dies erlaubte Rückschlüsse auf die Aminosäuren und den Gencode des frühsten gemeinsamen Vorfahrens LUCA sowie davor und danach lebenden Organismen. Die Forschenden untersuchten tausende Proteingruppen aus einer Datenbank, davon rund 400 aus Organismen aus der Zeit von LUCA.

Wann entstand LUCA?

Nach ihrer Entstehung vor 4,55 ± 0,05 Milliarden Jahre kreiste die Ur-Erde als toter Gesteinsbrocken um die Sonne. In dieser glühend heißen Ödnis inmitten der unendlichen Weiten des Weltalls entwickelte sich aus chemischen Prozessen das erste Leben. Dieses Ur-Leben war das älteste Glied in der endlosen Kette der Evolution, der Urahn und Urvater aller heutigen Lebewesen. Wissenschaftler haben ihn LUCA getauft – „Last Universal Common Ancestor“, den Letzten universellen gemeinsamen Vorfahren.

Wann Aminosäuren im Gencode verankert wurden

Nach dieser sogenannten monophyletischen (griechisch für einstämmig) Abstammungslehre lassen sich alle Daseinsformen auf der Erde – Menschen, Tiere, Pflanzen, Pilze und einzellige Formen – auf eine einzige Urform zurückführen. I

Wehbi und ihre Kollegen verglichen dabei vor allem die Kernabschnitte der Proteine, die deren Funktion bestimmen. „Angenommen das Protein ist ein Auto, dann ist eine Domäne wie ein Rad“, erklärt Wehbi. „Es ist ein Teil, das in vielen verschiedenen Autos verwendet werden kann, und Räder gibt es schon viel länger als Autos.“ Dieser Ansatz gibt Aufschluss darüber, welche Aminosäuren wann entstanden sind – und wann diese wahrscheinlich im Gencode verankert wurden.

Dabei zeigte sich, dass die Proteine der ersten Lebensformen wie LUCA überwiegend aus kleineren Aminosäure-Molekülen bestanden. Die Aminosäuren Cystein und Histidin, die Metalle wie Eisen, Zink oder Kupfer binden können, kamen bei LUCA ebenfalls bereits in großen Mengen vor – und damit deutlich früher als bisher angenommen.

Codes für kleine Aminosäuren sind älter als für große

Gleiches zeigte sich für schwefelhaltige Aminosäuren wie Methionin. Diese Protein-Bausteine könnten die Lebewesen schon damals vor reaktiven Schwefel- oder Sauerstoffmolekülen geschützt haben, vermutet das Team.

Große Aminosäuren mit komplexeren Seitengruppen kamen dagegen anfangs nur selten vor und wurden erst später häufiger. Auch hydrophobe (wasserabstoßende) Aminosäuren kamen bereits bei LUCA und seinen Zeitgenossen vor, fanden sich jedoch in später lebenden Organismen in größeren Anteilen, schreiben die Forscher.

Die großen und hydrophoben Aminosäuren entwickelten sich demnach zwar früh, verankerten sich aber erst in der späteren Evolution des Lebens im Gencode.

Dies deckt sich mit früheren Annahmen, wonach aufwendig herzustellende Aminosäuren sich tendenziell später entwickelten als kleinere, die auch spontan entstehen können. Doch einzelne Aminosäuren wie Glutamin kamen sogar noch später als bislang gedacht in unseren genetischen Code.

DNA-Code hat andere Codes überlebt

Webhi und ihre Kollegen verglichen auch die Proteine, die es schon in der Zeit vor dem letzten gemeinsamen Vorfahren allen Lebens gegeben hat. Diese enthielten weniger Valin und Glutaminsäure als bei LUCA sowie überraschend viele Aminosäuren mit einer aromatischen Ringstruktur: Tryptophan, Tyrosin, Phenylalanin und Histidin. Diese Aminosäuren sind allerdings groß und sperrig und wurden erst weit später auch durch DNA-Basen im genetischen Code des Lebens repräsentiert gefunden.

Dass sich solche aromatischen Aminosäuren dennoch schon zu Prä-LUCA-Zeiten vor mehr als vier Milliarden Jahren in lebenden Organismen befunden haben, legt nahe, dass es vor unserem heutigen DNA-Code noch andere genetische Codes gegeben haben muss.

„Dies liefert Hinweise auf andere genetische Codes, die vor unserem existierten und die seitdem in den Abgründen der geologischen Zeit verschwunden sind“, erläutert Masel.

Info: „Ursuppe“ – Urey-Miller-Experiment

Ursuppe Stanley Miller erlangte mit seinen Experimenten zur Bildung organischer Moleküle in der „Ursuppe” Weltruhm. Der US-Chemiker Miller führte in den 1950er Jahren gemeinsam mit seinem Kollegen Harold Urey Experimente durch, in denen er ausprobierte, wie unter den Bedingungen der frühen Erde organische Moleküle entstanden sein könnten.

Experimente 1953 Miller simulierte 1953 zusammen mit Urey im Labor der University of Chicago Umweltbedingungen, wie sie nach damaligem Forschungsstand in der Frühphase der Erdgeschichte (spätes Hadaikum) geherrscht haben könnten. Sie untersuchten, welche komplexen organischen Moleküle sich unter diesen Bedingungen bilden können. In seinem berühmten Ansatz mischte der Forscher in einem Versuchsbehälter verschiedene Gase wie Methan, Ammoniak, Wasserdampf und Wasserstoff als Nachbildung der Uratmosphäre und simulierte Blitzschläge durch elektrischen Strom. Seine Theorie: Diese Energiezufuhr könnte die entscheidenden Reaktionen ermöglicht haben und so erste Lebensbausteine erzeugt haben.

„Science“-Studie Eine erstmalige kurze Beschreibung des Experiments und seiner Ergebnisse erfolgte in dem „Science“-Artikel vom 15. Mai 1953 „A production of amino acids under possible primitive Earth conditions“ (Herstellung von Aminosäuren unter möglichen Bedingungen der frühen Erde).

Experimente 1958 Fünf Jahre später führte Miller ein weiteres Experiment durch, bei denen er den Gasmix zusätzlich mit Schwefelwasserstoff ergänzte. Die Analyse der Proben ergab, dass tatsächlich einige einfache Aminosäuren entstanden waren – und damit wichtige Lebensbausteine. Miller jedoch führte diese Analysen nicht weiter.

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Erstellt:
30. Dezember 2024, 16:50 Uhr
Aktualisiert:
31. Dezember 2024, 11:39 Uhr

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