Neue Studien zur Abstammung des Menschen

Wann und wie sich Mensch und Neandertaler vermischten

Zwei neue Studien analysieren die bislang ältesten Genome des Homo sapiens – aus der Thüringer Ilsenhöhle und aus der Koněprusy-Höhle am Berg Zlatý kůň in Tschechien. Die Resultate geben detailliert Aufschluss über die frühesten bekannten Auswanderer aus Afrika und über ihre Vermischung mit dem Neandertaler.

Vor etwa 45.000 Jahren zogen Menschen durch die offenen Steppenlandschaften Europas. Ihr Erbgut verrät etwas über die erste Vermischung mit Neandertalern.

© Tom Björklund/dpa

Vor etwa 45.000 Jahren zogen Menschen durch die offenen Steppenlandschaften Europas. Ihr Erbgut verrät etwas über die erste Vermischung mit Neandertalern.

Von Markus Brauer/Walter Willems (dpa)

Wann besiedelte der Homo sapiens von Afrika und dem Nahen Osten kommend Europa? Die ältesten Überreste des modernen Menschen, die je in Europa gefunden wurden, stammen aus der Oase-Höhle („Peștera cu Oas“ – Knochenhöhle), einem Karsthöhlen-System in Rumänien. Es handelt sich um den Schädel eines Menschen, der vor 40.000 Jahren gelebt hat.

Hatten Neandertaler und Homo sapiens gemeinsame Kinder?

Auf dem europäischen Kontinent traf der Homo sapiens auf einen Verwandten, den Neandertaler. Einige tausend Jahre lebten beide in den gleichen Gegenden, vermutlich begegneten sie sich. Aber was passierte dann? Haben sie miteinander gesprochen, einander bekämpft oder sich vielleicht sogar gepaart?

Heute glauben Forscher: Es gab damals tatsächlich gemeinsame Kinder von Neandertalern und modernen Menschen. Sie vermuten sogar, dass die allermeisten Menschen Erbgut von Neandertalern in sich tragen. Die Neandertaler starben vor etwa 30 000 Jahren aus.

Schlaglicht auf graue Vorzeit

Gleich zwei neue Studien werfen nun ein Schlaglicht auf jene graue Vorzeit, als der moderne Mensch Afrika verließ – unabhängig voneinander, aber mit ähnlichen Befunden. Die Resultate liefern nicht nur recht detaillierte Hinweise darauf, wann der moderne Mensch begann, sich um die Erde zu verbreiten, sondern auch dazu, wann er sich mit Neandertalern vermischte.

Die beiden Arbeiten unter Federführung des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie wurden zeitgleich in den Fachzeitschriften „Nature“ und „Science“ veröffentlicht.

Vor 50.000 breitete sich der Homo sapiens über den Erdball aus

Untersuchungen deuteten bereits darauf hin, dass der moderne Mensch erst vor etwa 50.000 Jahren damit begann, sich von Afrika aus um die Erde zu verbreiten. Die beiden Studien kommen nun zu dem Resultat, dass er dabei vor grob 47.000 Jahren während einer einzelnen längeren Phase der Vermischung mit Neandertalern jene Merkmale erwarb, die bis heute im Genom aller Nicht-Afrikaner nachweisbar sind.

Gleichzeitig enthüllt die Analyse der bislang ältesten Homo-sapiens-Genome aus der Ilsenhöhle im thüringischen Ranis und aus der Fundstätte Zlatý kůň bei Prag überraschend detaillierte Befunde über die ersten menschlichen Ankömmlinge in Mitteleuropa.

Wann vermischten sich beide Menschenarten?

Die letzten gemeinsamen Vorfahren von Neandertalern und modernen Menschen lebten vor etwa 500.000 Jahren. Neandertaler besiedelten Eurasien seit mindestens 300.000 Jahren bis zu ihrem Aussterben vor etwa 40.000 Jahren.

Doch noch immer sind viele Fragen offen: Der moderne Mensch entstand nach derzeitigem Forschungsstand vor etwa 300.000 Jahren in Afrika und verbreitete sich von dort aus um die Welt. Dabei vermischten sich Menschen, die den Kontinent verließen, vermutlich im Nahen Osten mit Neandertalern, sodass bei heutigen Menschen nicht-afrikanischer Abstammung etwa zwei Prozent des Genoms auf Neandertaler zurückgehen.

Die beiden Studien deuten nun nicht nur darauf hin, dass der moderne Mensch und Neandertaler sich später vermischten als bisher vermutet. Sie zeigen auch, dass dies in einem relativ überschaubaren Zeitraum erfolgte. Zumindest mit Blick auf jene übernommenen Genvarianten, die im Genom des Menschen bis heute erhalten sind.

Uraltes Genom aus Thüringen

Für die in „Nature“ präsentierte Studie analysierte das Team um Arev Sümer, Kay Prüfer und Johannes Krause vom Leipziger Max-Planck-Institut die mit etwa 45.000 Jahren bislang ältesten bekannten menschlichen Genome. Sie stammen aus der Ilsenhöhle im Südosten von Thüringen und aus der Koněprusy -Höhle am tschechischen Berg Zlatý kůň südwestlich von Prag.

Oldest modern human genomes sequenced Genomes of seven early #Europeans show they belonged to a small, isolated group that had recently mixed with #Neandertals but left no present-day descendants https://t.co/rLudj4Z8Yx@MPI_EVA_Leipzigpic.twitter.com/X40om0GFI7 — Max Planck Society (@maxplanckpress) December 12, 2024

Erst im Januar hatte eine Genom-Studie gezeigt, dass die Funde aus Ranis eindeutig vom Homo sapiens stammen. Und damit belegt, dass der moderne Mensch Mitteleuropa schon vor mindestens 45.000 Jahren erreicht hatte. Damit waren Menschen und Neandertaler in diesem Lebensraum nach derzeitigem Kenntnisstand noch etwa 5000 Jahre gemeinsam präsent.

New findings from #Ilsenhöhle cave in #Ranis show: Modern humans reached NW Europe more than 45,000 years ago & were the makers of the Lincombian-Ranisian-Jerzmanowician (LRJ) technocomplex. New studies in @Nature & @NatureEcoEvo. https://t.co/ruttBa5HCH & https://t.co/wKxw4u8G2Qpic.twitter.com/zhKLv13Kep — MPI-EVA Leipzig (@MPI_EVA_Leipzig) January 31, 2024

Verwandte aus Ranis und Zlatý kůň

Die Forscher untersuchten 13 Knochenfragmente, die von mindestens sechs Menschen stammten – drei männlich und drei weiblich – und die zumindest teilweise eng miteinander verwandt waren. Am erstaunlichsten war jedoch, dass auch Menschen aus Ranis und die Frau vom etwa 230 Kilometer entfernten Zlatý kůň verwandt waren.

„Zu unserer großen Überraschung entdeckten wir eine genetische Verwandtschaft fünften oder sechsten Grades zwischen der Frau aus Zlatý kůň und zwei Individuen aus Ranis“, sagt Erstautorin Sümer. „Die Gruppe, zu der die Frau aus Zlatý kůň gehörte, war also genetisch Teil der Raniser „Großfamilie“.“

Kleine Gruppe drang in Steppe vor

Diese Verwandtschaft der einzigen Funde aus dieser Zeit in Mitteleuropa könnte dafür sprechen, dass nur ausgesprochen wenige Menschen in diese damals kalte und unwirtliche baumarme Steppe vordrangen. Und dass sie Teil einer Gruppe waren, die sich kurz nach dem Verlassen Afrikas von den übrigen Menschen trennte. Die Ranis-Zlatý-kůň-Population habe aus etwa 200 bis 300 Individuen bestanden, vermutet das Team.

Letztlich bildeten die Bewohner von Ilsenhöhle und Zlatý kůň eine evolutionäre Sackgasse. Sie starben aus und hinterließen keine Spuren im Erbgut heutiger Menschen. Aber ihre Genome enthalten der Studie zufolge bereits Spuren der Vermischung mit Neandertalern, die auch bei heutigen Menschen vorkommen.

Vermischung vor mehr als etwa 45.000 Jahren

Mithin muss diese Vermischung vor mehr als etwa 45.000 Jahren stattgefunden haben. Und zwar bei jener Vorfahren-Population außerhalb Afrikas, auf die alle späteren Menschen zurückgehen. Das Forscherteam schätzt, dass die Vermischung ungefähr 80 Generationen erfolgte, bevor die untersuchten Individuen in Ranis lebten.

Das entspräche bei einer mittleren Generationsdauer von 29 Jahren etwa 2000 Jahren, was rechnerisch auf die Zeit vor etwa 47.000 Jahren hindeutet – und damit wesentlich später als in vielen früheren Kalkulationen angenommen.

„Diese Ergebnisse helfen uns, die ersten modernen Menschen, die Europa besiedelten, besser zu verstehen“, erläutert Hauptautor Johannes Krause, Direktor am Leipziger Institut. „Sie zeigen auch, dass alle Überreste moderner Menschen, die außerhalb Afrikas gefunden wurden und älter als 50.000 Jahre sind, nicht zu der Population gehören können, die sich außerhalb Afrikas mit den Neandertalern vermischte und heute in den meisten Teilen der Welt zu finden ist.“

Genetischer Austausch über 7000 Jahre

Die Erkenntnisse passen zur zweiten, in „Science“ publizierten Arbeit einer Gruppe um Leonardo Iasi vom Leipziger Max-Planck-Institut und Priya Moorjani von der University of California in Berkeley. Dieses Team untersuchte mehr als 300 frühe und auch moderne menschliche Genome auf Neandertaler-Einflüsse. 59 Individuen lebten vor 2000 bis vor 45.000 Jahren.

New timeline for #Neandertal gene flow event. An intl. research team led by @IasiLeonardo & @benmpeter@MPI_EVA_Leipzig & @moorjani_priya@UCBerkeley unravels timing & impact of Neandertal gene flow into early modern #humans. https://t.co/HEyMn1fRsM & https://t.co/gplNUzYP7Ppic.twitter.com/Ja3OqML3Bx — MPI-EVA Leipzig (@MPI_EVA_Leipzig) December 12, 2024

„Wir wollten den Zeitpunkt und die Dauer des Genflusses vom Neandertaler zum modernen Menschen bestimmen. Dazu haben wir einen Katalog der Neandertaler-Abstammung erstellt“, betont Moorjani.

„Durch den Vergleich von Segmenten zwischen Individuen aus verschiedenen Zeiträumen und geografischen Regionen konnten wir zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Neandertaler-Abstammung auf einen einzigen, gemeinsamen und langjährigen Genfluss von den Neandertalern zu den gemeinsamen Vorfahren aller heutigen nicht-afrikanischen Menschen zurückgeführt werden kann.“

Dieser Genfluss begann demnach vor etwa 50.500 Jahren und dauerte etwa 7000 Jahre – also bis vor 43.500 Jahren. „Diese Zeitachse stimmt gut mit den archäologischen Belegen für die zeitliche Überschneidung von Neandertalern und modernen Menschen in Europa überein“, erläutert Iasi.

Gab es häufiger Vermischungen zwischen Menschen und Neandertalern?

Dabei hielten sich Genvarianten im Genom der Menschen, die sich als vorteilhaft erwiesen: Sie hängen insbesondere mit der Hautpigmentierung, mit dem Stoffwechsel und mit der Immunfunktion zusammen. Dabei könnte der moderne Mensch, der in einen neuen Lebensraum mit möglicherweise auch neuen Krankheitserregern vordrang, von seinen Vettern, die schon seit langer Zeit daran angepasst waren, nützliche Genvarianten übernommen haben, erklärt Iasi.

Allerdings könnte es Genflüsse zwischen modernen Menschen und Neandertalern auch außerhalb dieser Phase gegeben haben. Denn die Studienresultate gelten nur für jene Vermischung, die bis heute sichtbare Spuren im Genom moderner Menschen hinterlassen hat. „Es kann durchaus sein, dass es häufiger Vermischungen zwischen Menschen und Neandertalern gegeben hat“, unterstreicht Iasi. „Aber nicht in dem Maße, dass es bei heutigen Menschen noch nachweisbar ist.“

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Erstellt:
12. Dezember 2024, 21:30 Uhr
Aktualisiert:
13. Dezember 2024, 07:25 Uhr

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