Doku über Norman Franz

„Warte auf mich – entweder ich komme oder ich bin tot“

Die Zeitungen nannten sie „Deutschlands Bonnie und Clyde“. Norman Franz tötete fünf Menschen, seine Frau flüchtete mit ihm durch halb Europa. Jetzt gibt es eine neue Dokumentation über einen der meistgesuchten Verbrecher der Republik.

Sandra C. hat ihre Fotoalben geöffnet und zeigt Erinnerungen an ihr Leben mit Norman Franz.

© Sky/Sandra C.

Sandra C. hat ihre Fotoalben geöffnet und zeigt Erinnerungen an ihr Leben mit Norman Franz.

Von Theresa Schäfer

„Norman war der erste Mensch, der mir das Gefühl gegeben hat, dass ich was Besonderes bin.“ Das sagt Sandra C., die Ehefrau eines der meistgesuchten Schwerverbrecher in Deutschland – oder seine Witwe, sollte Norman Franz nicht mehr leben. Tot oder lebendig: Ihr Leben beherrscht er noch immer. Dabei ist es 25 Jahre her, dass sie ihn zuletzt gesehen hat. Sie war inzwischen im Gefängnis. Er ist immer noch auf der Flucht. Fünf Menschen hat Norman Franz auf dem Gewissen. 25.000 Euro sind für Hinweise ausgelobt, die zu seiner Ergreifung führen könnten.

Die Zeitungen nannten sie „Deutschlands Bonnie und Clyde“. Sandra schmuggelte eine Säge ins Gefängnis, mit der Norman ausbrechen konnte. In Annika Blendls Dokumentation „Das Phantom – Auf der Jagd nach Norman Franz”, die ab dem 19. Dezember bei Sky und auf dem Streamingdienst Wow zu sehen ist, erzählt Sandra C. nun zum ersten Mal öffentlich von dieser Zeit. Neben ihr: Mike, der gemeinsame Sohn. Warum er sich entschlossen hat, vor der Kamera über seinen Vater zu sprechen? „Wenn er noch lebt, sieht er mich so auch mal.“

Sandra C. lernt Norman Franz kennen, da ist sie 16 Jahre alt und er 23. Im rauen Dortmunder Norden sind die Jugendlichen zu Hause, in Familien, wo Alkoholsucht und Vernachlässigung an der Tagesordnung sind. Dort, am Borsigplatz, lebt sie immer noch. In der Hoffnung, dass Norman sie dort findet, wenn er zurückkommt?

„Norman war immer lieb zu mir“, sagt sie. Sie mag sein sanftes Wesen und dass er Ziele hat: Abitur nachmachen zum Beispiel. Sie schafft mit Ach und Krach den Hauptschulabschluss, schmeißt eine Lehre zur Fleischfachverkäuferin. Doch Norman ist auch ein Kleinkrimineller, der mit seiner Clique krumme Dinger dreht. Als ihm 1995 eine Polen-Gang in die Quere kommt, macht Norman eiskalt kurzen Prozess: Gemeinsam mit zwei Komplizen lockt er die Polen in eine Falle, zwei Männer werden aus nächster Nähe erschossen, einer überlebt schwer verletzt. Zuletzt werfen die Täter noch eine Handgranate ins Auto.

Norman flieht nach Spanien und nimmt Sandra mit. Irgendwann kommen sie nach Deutschland zurück, fliegen auf, Norman wird festgenommen. Den Angeklagten wird der Prozess gemacht, alle bekommen lebenslang. Im Gefängnis heiraten sie – Sandra hat Norman den Antrag gemacht. „Wir konnten ihn doch nicht so leiden sehen“, sagt sie. Sandra trägt ein weißes Hochzeitskleid, Typ Sahnebaiser.

Sandra schmuggelt für Norman eine Säge ins Gefängnis

Und dann reift ein Plan: Norman will ausbrechen. Sandra schmuggelt die Sägeblätter in den Hagener Knast. „Warte morgen früh auf mich“, sagt er an diesem Tag im Jahr 1997 zum Abschied, „entweder ich komme oder ich bin tot.“ In der Nacht sägt er die Gitterstäbe am Fenster auf und lässt sich an zusammengeknüpften Bettlaken hinunter. Die Polizei ist heute ziemlich sicher, dass er dabei Hilfe hatte. Vermutlich habe er einen Aufseher bestochen. Sandra wartet mit dem Fluchtwagen, Normans Mutter hat ihrem Sohn eine Waffe besorgt.

In Weimar überfällt Norman wenige Tage später einen Geldtransporter und erschießt den Geldboten. Sandra wartet in der Nähe an einer Bushaltestelle. Norman sagt, der Mann habe ihm die Waffe entreißen wollen, dabei habe sich ein Schuss gelöst. Sandra will ihm glauben. Die Beute: 10.000 Mark.

Überfall auf zwei Geldboten in Halle

Als vier Monate später das Geld zur Neige geht, plant Norman Franz den nächsten Überfall. Diesmal ist ein Metro-Markt in Halle/Saale das Ziel. Er überfällt zwei Geldboten und erschießt auch sie. Sandra plagt das Gewissen. Ständig ist ihr schlecht – wegen der Tat oder weil sie inzwischen schwanger ist?

Das Paar flüchtet nach Portugal. Mit falschen Pässen kaufen Norman und Sandra an der Algarve ein Haus. Ihr Sohn Mike kommt zur Welt. „Die schönste Zeit meines Lebens“, sagt Sandra. Doch sie werden erkannt und festgenommen. Norman sitzt in einem hochgesicherten Gefängnis ein, Sandra wird mit dem acht Monate alten Baby in einem Frauengefängnis in Lissabon inhaftiert. Als Norman Franz erfährt, dass er nach Deutschland ausgeliefert werden soll, dreht er das gleiche Dinge wie in Hagen: Er bricht aus, auf seiner Pritsche liegt statt seiner eine Puppe. Hatte er dabei wieder Unterstützung? Von einem bestochenen Wärter zum Beispiel?

1999 wird Sandra nach Deutschland überstellt. Hier wird ihr der Prozess gemacht. Die Zeitungen überschlagen sich mit Berichten über „Bonnie und Clyde“. Zum Prozess am Landgericht Halle wird sie mit schwerbewaffneter SEK-Begleitung gebracht, denn man fürchtet, Norman Franz könne versuchen, seine Frau zu befreien. Sandra wird nach Jugendstrafrecht verurteilt, denn während des Prozesses wird deutlich: Hier ist jemand Täterin und Opfer zugleich. Regelrecht hörig, befindet ein Gutachter, sei sie ihrem Ehemann gewesen. Sechs Jahre lautet das Urteil, 2002 kommt Sandra C. frei.

Norman Franz ist abgetaucht. Zielfahnder des Landeskriminalamts in Nordrhein-Westfalen suchen seit Jahrzehnten nach ihm. Lebt er noch? Hat er längst eine neue Familie? Falls ja, sagt Sandra, „dann ist das so, dann gönne ich ihm das auch“.

Seit 2021 fahndet Interpol

Seit 2021 läuft eine weltweite Fahndung von Interpol. Im Netz kann man sich eine Stimmprobe von ihm anhören. „Für einen Mann hat er wirklich eine auffällig hohe Stimme, besonders, wenn er aufgeregt ist und schneller spricht“, sagte damals einer der Düsseldorfer Zielfahnder, die mit dem Fall betraut sind. „Er wurde angeblich schon als Rucksacktourist in Indien gesichtet und mehrfach in Südamerika. Ehrlich gesagt haben wir derzeit keinen Anhaltspunkt, wo er sich wirklich aufhält.“

Franz, der inzwischen 54 Jahre alt ist, habe eine lange kriminelle Karriere hinter sich und „er ist schlau - er lernt aus seinen Misserfolgen.“ Er spricht Deutsch, Portugiesisch und Englisch. Könnte er in Südafrika untergetaucht sein? Inzwischen halten die Fahnder es auch für möglich, dass Franz tot sein könnte. Aufgeben werde man aber nicht, sagt einer der Ermittler in der Doku: „Wir hören nicht auf, nach Norman Franz zu suchen.“

Neue Doku über einen deutschen Schwerverbrecher

Im Pay-TV und zum StreamenDie True-Crime-Doku „Das Phantom - Auf der Jagd nach Norman Franz“ ist ab dem 19. Dezember auf Sky und dem Streamingdienst WOW abrufbar, sie läuft außerdem am 19.12. um 20.15 Uhr auf Sky Crime.

Die FahndungDas Landeskriminalamt von Nordrhein-Westfalen hat sich dafür entschieden, an der Doku teilzunehmen, weil man dort auf neue Hinweise hofft. “Erfahrungsgemäß nehmen die Hinweise zu, nachdem der Fall noch mal medial in Erinnerung gerufen wird“, sagte ein Sprecher der dpa.

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Erstellt:
11. Dezember 2024, 13:50 Uhr
Aktualisiert:
11. Dezember 2024, 13:58 Uhr

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