Beschleunigung statt Stillstand

Warum sich das Universum immer schneller ausdehnt

Die kosmische Expansion verläuft schneller als sie dem kosmologischren Standardmodell nach dürfte. Das hat nun eine Überprüfung der Messungen mit dem James-Web-Teleskop bestätigt. Doch was dahintersteckt, ist weiterhin offen.

Das Universum dehnt sich schneller als aus es dem kosmologischen Standardmodell nach dürfte. Aber was steckt dahinter?

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Das Universum dehnt sich schneller als aus es dem kosmologischen Standardmodell nach dürfte. Aber was steckt dahinter?

Von Markus Brauer

Der Big-Bang-Theorie zufolge ist unser Universum vor knapp 14 Milliarden Jahren aus einem extrem heißen und dichten Zustand hervorgegangen – dem Urknall. „Diese Hypothese geht davon aus, dass die gesamte Materie im Kosmos in ferner Vergangenheit in einem einzigen Big Bang entstanden ist“, erklärte einmal der Astronom und Mathematiker Fred Hoyle (1915-2001).

Universum wird nicht ewig bestehen

Der Samen des Universums war dabei viel kleiner als ein Atom und enthielt alle Materie und Energie, die sich heute über viele Milliarden Lichtjahre verteilen. Aus diesem Stoff ist alles entstanden: Sonne und Sterne, Materie und Strahlung – und das Leben. Einfach alles.

Irgendwann – den Grund kennen die Physiker nicht – fing dieser winzige, jenseits aller Vorstellungskraft dicht gepackte und unvorstellbar heiße Raum schlagartig an sich zum Universum auszudehnen. Und das tut er bis heute.

Doch unser Universum wird nicht unendlich lange bestehen – zumindest nicht in der Form, in der wir es kennen. Denn durch die fortschreitende Expansion kühlt der Kosmos ab und seine Materiedichte verringert sich. Irgendwann ist dann auch das Rohmaterial für neue Sterne aufgebraucht und das Weltall wird dunkel, kalt und leer. Nur noch Schwarze Löcher und ausgebrannte Sternenreste wie die „Schwarzen Zwerge“ bleiben übrig.

Treibt die Dunkle Energie die kosmische Expansion voran?

Doch so weit ist es noch lange nicht. Seit dem Urknall dehnt sich das Universum rasant aus. Und diese kosmische Expansion beschleunigt sich zudem, wie Astronomen in den 1990er Jahren erstmals erkannten.

Als mögliche Triebkraft dafür gilt die Dunkle Energie – eine bisher unbekannte Kraft, die der anziehenden Wirkung der Gravitation entgegenwirkt. Doch wie schnell sich der Kosmos aktuell ausdehnt, ist strittig – und damit auch der Wert der Hubble-Konstante (H0) – einer der Grundpfeiler unseres kosmologischen Standardmodells.

  • Zur Info: Die Hubble-Konstante, benannt nach dem US-Astronomen Edwin Hubble (1889-1953), ist eine der fundamentalen Größen der Kosmologie. Sie beschreibt die gegenwärtige Rate der Expansion des Universums. Der homogene Vorgang der Expansion wird als Hubble-Fluss (Hubble Flow) bezeichnet.

Dem kosmologischen Standardmodell zufolge müsste die Hubble-Konstante – und damit die Expansionsrate des Kosmos – bei rund 67 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec liegen. Doch astronomische Messungen anhand von Supernovae, Gravitationslinsen, veränderlichen Sternen (Cepheiden) sowie Roten Riesen liefern einen signifikant höheren Wert von im Mittel 73 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec.

  • Zur Info: Ein Parsec (Kurzwort aus englisch: parallax second) ist eine astronomische Längeneinheit. Ein Megaparsec sind eine Million Parsec. Ein Parsec sind etwa 3,26 Lichtjahre. Ein Megaparsec sind also 3,26 Millionen Lichtjahre. Das ist ungefähr die Strecke zu unserer Nachbargalaxie, dem Andromedanebel. Der Andromedanebel ist die einzige mit bloßem Auge sichtbare Galaxie am Nachthimmel.

Was Daten vom James-Webb-Teleskop zur Rätsels Lösung beitragen

Jetzt liefert das James-Webb-Weltraumteleskop neue Daten zur Hubble-Konstante und kosmischen Expansion. „Die Fähigkeiten des Webb-Teleskops bieten uns die Möglichkeit, zusätzliche Überprüfungen durchzuführen, indem wir die mit ihm gemessenen Entfernungen mit denen des Hubble-Teleskops vergleichen“, erklären Astronomen um den Nobelpreisträger Adam Riess von der Johns Hopkins University in Baltimore. Ihre Studie ist im Fachmagazin „The Astrophysical Journal“ erschienen.

A recent study using the #JWST confirms the @NASAHubble earlier determination of the Hubble Constant (H₀) as 72.6 ± 2.0 km/s/Mpc. This validates the cepheid/supernova distance ladder method, which relies on "standard candles" like cepheid stars and Type Ia supernovae to… pic.twitter.com/MxUH3Z6Xna — Erika  (@ExploreCosmos_) November 17, 2024

Der Datensatz des Hubble-Teleskops umfasst Entfernungen von hunderten Cepheiden (veränderliche Sterne, die nach dem SternCephei im Sternbild Cepheus benannt sind) sowie 42 Supernovae in 37 Galaxien.

Riess und sein Team haben nun Messdaten des James-Webb-Teleskops der letzten zwei Jahre ausgewertet und die Entfernungen von 16 Supernovae sowie von Cepheiden, Roten Riesen und einer Klasse von kohlenstoffreichen Riesensternen gemessen. Letztere gelten ebenfalls als gute Entfernungsmarker.

Ist unser Verständnis des Universums unvollständig?

Die Analyse zeigt, dass die Diskrepanz in der Hubble-Konstante auch bei diesem bislang umfangreichsten Datensatz des James-Webb-Teleskops auftritt. „Das für alle Methoden zusammenfasste Ergebnis des James-Webb-Teleskops liegt damit bei 72,6 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec“, schreiben die Forcher.

Dieser Wert bestätigt die früheren Messungen und zeigt, dass die Abweichungen zum Standardmodell demnach nicht auf Messunsicherheiten oder Fehlern des Hubble-Teleskops beruhen können. „Die Diskrepanz zwischen der beobachteten Expansionsrate des Universums und den Vorhersagen des Standardmodells deutet darauf hin, dass unser Verständnis des Universums unvollständig sein könnte“, unterstreicht Riess.

Wie lässt sich die Diskrepanz zwischen Daten und Theorie erklären?

Doch bisher ist unklar, wodurch die Abweichungen hervorgerufen werden und wo die Lücken des kosmologischen Standardmodells liegen. „Eine mögliche Erklärung für die Hubble-Spannung wäre, dass in unserem Verständnis des frühen Universums etwas fehlt, beispielsweise eine neue Komponente, die dem Universum nach dem Urknall einen unerwarteten Impuls gegeben hat“, erläutert Marc Kamionkowski von der Johns Hopkins University.

Denkbar wäre auch, dass die Dunkle Energie sich verändert. Und zwar in dem Sinne, dass sie heute dichter oder stärker ist als im frühen Kosmos. Mögliche Hinweise darauf lieferte Anfang der Dark Energy Survey (DES). „Es gibt aber auch andere Ideen, wie noch unerkannte Eigenschaften der Dunklen Materie, exotische Teilchen, sich ändernde Elektronenmassen oder primordiale Magnetfelder, die das Problem lösen könnten“, resümiert Kamionkowski.

  • Zur Info: Der Dark Energy Survey (DES) ist eine Himmelsdurchmusterung im optischen und nahinfraroten Spektralbereich. Seine Hauptziele sind die Erforschung der 1999 entdeckten beschleunigten Ausdehnung des Universums und der großräumigen Strukturbildung. Erstere wird in kosmologischen Theorien oft durch das Vorhandensein Dunkler Energie erklärt, die mit negativem Druck wirkt.

Was umfasst die Dunkle Materie?

Die Dunkle Materie gehört zu den größten Rätseln der modernen Physik. Sie ist nicht sichtbar und wurde noch nie direkt beobachtet. Allerdings wissen die Forscher, dass sie da ist. Denn sie macht sich über ihre Schwerkraft bemerkbar. Ohne die zusätzliche Schwerkraft der Dunklen Materie würden beispielsweise viele Galaxien durch die Fliehkraft auseinander gerissen werden, da sie sich viel zu schnell drehen.

Alle Sterne in unserer Galaxie, der Milchstraße, zusammengenommen machen nur nur etwa 15 Prozent der (sichtbaren) Masse aus. Der Rest – rund 85 Prozent – ist Dunkle Materie. Im Universum gibt es mehr Schwerkraft, als auf Grundlage der sichtbaren Teile angenommen würde, erklärt der französische Astrophysiker David Elbaz.

„Die Sonne dreht sich mit einer so hohen Geschwindigkeit um das Zentrum der Milchstraße, dass sie aus der Galaxie ausbrechen sollte. Und wenn sie nicht ausbricht, heißt das, dass sie von einer anderen Masse, die wir nicht sehen, angezogen wird“, so Elbaz weiter. Das sei die dunkle Materie. Dunkle Energie hingegen beschreibe eine Art Anti-Schwerkraft, durch die Galaxien sich abzustoßen scheinen.

Wohin geht die Expansion des Kosmos?

Aber was treibt die Beschleunigung der Expansion an? Die Forscher gehen davon aus, dass dem Raum eine eigene Energie innewohnt. Dehnt sich der Raum aus, so nimmt diese Energie zu, wodurch sich der Raum noch schneller ausdehnt.

Der US-Astrophysiker Michael Turner prägte für das mysteriöse Phänomen den Begriff Dunkle Energie. Diese Dunkle Energie ist die dominierende Macht im Kosmos: Sie macht 69 Prozent seines gesamten Inhalts aus Materie und Energie aus. Doch was ist sie?

Zukunft unseres Universums hängt von Dunkler Energie ab

Hier tappen Physiker nach wie vor im sprichwörtlichen Dunkeln. Es könnte eine konstante Energie des Raums sein. Oder die Dunkle Energie könnte sich zeitlich verändern, zunehmen oder abnehmen. Nur eines ist sicher: Die Zukunft unseres Universums hängt von der Dunklen Energie ab.

Die beschleunigte Expansion führt dazu, dass der mit Teleskopen beobachtbare Teil des Kosmos immer kleiner wird. Denn die Abstände zu weiter entfernten Galaxien wachsen schließlich so schnell an, dass uns deren Licht niemals erreichen kann.

Zukunft des Universums

Unsere Milchstraße und das Sonnensystem würden allerdings durch die Schwerkraft zusammengehalten und nicht durch die Dunkle Energie auseinandergetrieben werden. Jedenfalls, wenn die Dunkle Energie immer gleich stark bleibt. Nimmt sie jedoch zu, könnte die immer rasanter verlaufende Expansion in ferner Zukunft auch Galaxien, unser Sonnensystem und sogar Atome zerreißen.

Vielleicht nimmt die Dunkle Energie aber auch ab und die Schwerkraft dominiert irgendwann die Entwicklung des Universums. So könnte die Expansion zum Stillstand kommen. Möglicherweise stürzt der Kosmos dann auch wieder zusammen. Zurück zu einem dichten Urzustand, aus dem vielleicht ein neues Universum hervorgeht.

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Erstellt:
10. Dezember 2024, 18:02 Uhr
Aktualisiert:
10. Dezember 2024, 19:50 Uhr

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