Missbrauch an katholischer Schule in Frankreich
Was geschah am Elite-Internat Notre-Dame de Bétharram?
Eine unfassbare Missbrauchsaffäre in einem katholischen Elite-Internat erschüttert Frankreich und setzt Premierminister François Bayrou unter Druck. Was hat Bayrou als damaliger Bildungsminister von der Gewalt und dem Missbrauch durch Lehrer und Priester gewusst? Und: Was geschah an anderen katholischen Schulen?

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Malerisch gelegen und voller dunkler Geheimnisse: An der katholischen Eliteschule Notre-Dame de Bétharram in Südfrankreich sind über Jahrzehnte Schüler drangsaliert, geschlagen und sexuell missbraucht worden.
Von Markus Brauer/AFP
Es ist einer der größten pädokriminellen Skandale der katholischen Kirche in Frankreich. Und einer, der zum politischen Stolperstein für Premierminister François Bayrou werden könnte: An der katholischen Elite-Schule Notre-Dame de Bétharram am Fuß der Pyrenäen haben Lehrer und Betreuer nach Aussagen von Betroffenen über Jahrzehnte hinweg Schüler geprügelt und sexuell missbraucht und dieses höchst effizient vertuscht.
Kinder wurden von Lehrern „hart rangenommen“
Zwar war die Schule dafür bekannt, Kinder „hart ranzunehmen“, doch galt dies weithin als erfolgversprechende Erziehungsmethode. Die Frage, welches Ausmaß die Gewalt hatte und welche Rolle sexualisierte Gewalt spielte, stellten sich viele Eltern vermutlich nicht.
- Erst als 2023 ein ehemaliger Schüler eine Facebook-Gruppe für Betroffene gegründet hatte, brachen viele von ihnen ihr Schweigen. In der Folge wurden nach und nach weitere schlimme Vorwürfe publik.
- Mittlerweile sind 200 Anzeigen wegen körperlicher und sexueller Gewalt bei der Staatsanwaltschaft Pau eingegangen, wobei die meisten aber als verjährt gelten. Sie betreffen mindestens 13 Priester oder Ordensleute und mehrere weitere Mitarbeiter der Schule, zu der auch ein Internat gehört.
Après le scandale des violences de Notre-Dame-de-Bétharram, l'institution St-Dominique de Neuilly est pointée du doigt. Plus d'une vingtaine de signalements ont été faits par d'anciens élèves pour des violences physiques et sexuelles commises par des enseignants ou des prêtres. pic.twitter.com/67dG9C4BeR — M6 Info (@m6info) April 9, 2025
Premierminister Bayrou unter Druck
Die Affäre betrifft nicht nur die katholische Kirche in Frankreich, sondern ist auch politisch explosiv: Premierminister Bayrou sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, in seiner Zeit als Bildungsminister von den Missständen an der Schule gewusst und nichts dagegen unternommen zu haben.
Der Politiker soll sich zudem Ende der 1990er Jahre zu einem Verfahren gegen den damaligen Schuldirektor erkundigt und damit das Ermittlungsgeheimnis verletzt haben. Der Geistliche Pierre Silviet-Carricart stand im Verdacht, sich an einem zehn Jahre alten Schüler am Tag der Beerdigung von dessen Vater vergangen zu haben.
Bayrou sieht sich als Opfer einer politischen Kampagne
Bayrou weist bislang alle Vorwürfe von sich und stellt sich als Opfer einer politischen Kampagne dar. Mitte Mai soll er sich vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss unter Eid dazu äußern. Es gibt Hinweise darauf, dass er durchaus informiert gewesen sein könnte und möglicherweise auch manche Dinge selbst nicht wahrhaben wollte.
Der 73-jährige Katholik ist ein in der südfranzösischen Region tief verwurzelter Lokal- und Regionalpolitiker. Er saß 25 Jahre lang im Rat des Départements Pyrénées-Atlantiques, den er zeitweise leitete, war von 1993 bis 1997 Bildungsminister und jahrelang Abgeordneter. Bétharram lag in seinem Wahlkreis.
Bayrou prangerte „Angriffe“ gegen die Schule an
Zudem hatte Bayrou eine starke persönliche Verbindung zu der Schule: Drei seiner sechs Kinder besuchten die Einrichtung, und seine Frau unterrichtete dort Religion. Sein Sohn war in der Klasse eines Jungen, der 1996 einen Hörschaden erlitt, als ein Betreuer ihn ohrfeigte.
Es war der erste Fall, bei dem es zu einer Anzeige kam. Nach Informationen des Magazins „Mediapart“ besuchte Bayrou, der damals Bildungsminister war, kurz darauf Bétharram und prangerte „Angriffe“ gegen die Schule an.
Nach Recherchen von „Libération“ war Bayrou regelmäßig auf Fotos in der Schulzeitschrift zu sehen, auch gemeinsam mit dem später der Vergewaltigung bezichtigten Direktor.
Schuldirektor nahm sich nach Enthüllungen das Leben
Der damalige Untersuchungsrichter Christian Mirande sagte kürzlich vor dem Untersuchungsausschuss aus, Bayrou habe ihn kontaktiert, als 1998 das Verfahren gegen den Direktor begonnen hatte. „Er machte sich Sorgen um seinen Sohn“, berichtete Mirande. „Er konnte nicht glauben, was passiert war.“ Bayrou bestreitet, dass es ein Treffen mit dem Untersuchungsrichter gegeben habe, und auch, dass er den Direktor überhaupt gekannt habe.
Was wirklich passiert war, wurde nie juristisch geklärt: Der Direktor kam gegen den Willen des Untersuchungsrichters frei und wurde in den Vatikan versetzt. Als eine zweite Vergewaltigungsklage gegen ihn einging, nahm er sich im Jahr 2000 das Leben. Sein Leichnam wurde aus dem Tiber gefischt. Bei der Beerdigung in Bétharram war Bayrous Ehefrau anwesend.
Katholische Schulen im Fokus der Ermittler
Die Berichte der ehemaligen Schüler von Bétharram haben in Frankreich eine Schockwelle ausgelöst. Auch an anderen katholischen Einrichtungen erheben mehr und mehr ehemalige Schüler Vorwürfe.
Bildungsministerin Elisabeth Borne spricht von einem „MeToo der Schulen“. Die juristische Aufarbeitung ist wegen der Verjährung der meisten Fälle jedoch schwierig. Bislang ist ein ehemaliger Betreuer der Schule, dem Vergewaltigung vorgeworfen wird, in Untersuchungshaft.