Sexuelle Identität und Orientierung

Was meint abrosexuell?

Wie viele Geschlechter gibt es? Klar, werden manche jetzt sagen: Frau und Mann. Doch so einfach ist das nicht. Was ist mit Trans*-Menschen? Welche Rolle spielen neben der Biologie Diversity und Gender? Was unterscheidet die sexuelle Identität von der Orientierung? Und was versteht man Abrosexualiät? Ein Überblick.

Abseits des biologischen Geschlechts sind sexuelle Orientierungen und Identitäten nicht in Stein gemeißelt. Menschen können sich ihrem  biologischen Geschlecht entsprechend oder davon verschieden erleben und dies  zum Ausdruck bringen.

© Imago/Müller-Stauffenberg

Abseits des biologischen Geschlechts sind sexuelle Orientierungen und Identitäten nicht in Stein gemeißelt. Menschen können sich ihrem biologischen Geschlecht entsprechend oder davon verschieden erleben und dies zum Ausdruck bringen.

Von Markus Brauer

Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität, Polysexualität, Pansexualität, Omnisexualität, Asexualität, Autosexualität, Androsexualität, Gynosexualität, Skoliosexualität, Greysexualität: Die sexuelle Orientierung von Menschen ist vielfältig, vielschichtig – und ein fundamentaler Bestandteil ihrer Persönlichkeit.

Eizelle vs Samenzelle

Wie viele Geschlechter gibt es? Das hängt davon ab, wie man Geschlecht genau definiert. Die Biologie ist da sehr eindeutig: Sie fixiert das Geschlecht an seine Rolle in der Fortpflanzung. Ihre Definition hängt von der Keimzellenproduktion ab: Produziert ein Individuum im Rahmen der geschlechtlichen oder sexuellen Fortpflanzung Ei- oder Samenzellen? Wer Samenzellen produziert, ist männlich. Wer Eizellen produziert, ist weiblich. So einfach ist das. Oder doch nicht?

  • Das biologische Geschlecht ist oft – aber eben nicht immer zwingend – identisch mit dem, was gemeinhin als Mann oder Frau bezeichnet wird. Diese sogenannte binäre Geschlechterordnung beruht auf der biologischen Geschlechterdefinition.
  • Gemeint ist damit ein Modell innerhalb von Gesellschaften, das auf der exklusiven Unterscheidung zweier Geschlechter beruht. Darin werden Männer und Frauen sowie Männlichkeit und Weiblichkeit meist scharf voneinander abgegrenzt und als Gegensätze aufeinander bezogen.
  • Wenn man hingegen im Alltag von Mann oder Frau redet, wird es schon komplizierter. Denn abseits des biologischen Geschlechts sind sexuelle Orientierungen und Identitäten nicht in Stein gemeißelt. Menschen können sich ihrem biologischen Geschlecht entsprechend oder davon verschieden erleben und dies explizite zum Ausdruck bringen.

Gender vs Sex

  • Gender ist das englische Wort für Geschlecht – genauer gesagt für das soziale und gelebte, erfahrene und gefühlte Geschlecht.
  • Dies im Unterschied zu Sex, dem biologischen Geschlecht, das jedem bei seiner Geburt aufgrund nachweislicher körperlicher Merkmale zugewiesen wird.
  • Das biologische Geschlecht ist nicht automatisch identisch mit der von einem Individuum selbst wahrgenommenen Identität. In der Medizin spricht man von Gender incongruence: der geschlechtlichen Nicht-Übereinstimmung.
  • Gendern bedeutet geschlechtergerechte Sprache. Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg definiert es so: „Mit dem geschlechterbewussten Sprachgebrauch soll die Gleichbehandlung alle Geschlechter/Identitäten zum Ausdruck gebracht werden.“
  • Im Deutschen ist die Verwendung des sogenannten generischen Maskulinums üblich, also die allgemeingültige Verwendung der maskulinen Form für männliche wie weibliche Personen.

Diversity vs Diskriminierung

Wie die Landeszentrale weiter erklärt, wird seit der rechtlichen Einführung der dritten Geschlechtsoption divers im Jahr 2018, auch über eine mehrgeschlechtliche Schreibweise diskutiert, die nicht nur das männliche und weibliche Geschlecht einschließt, sondern auch andere Geschlechtsidentitäten.

Diskussionen über eine geschlechtergerechte Sprache gibt es hierzulande aber seit den 1970er Jahren. Befürworter sehen Gendern als Ausdruck der Gleichstellung, Kritiker empfinden es als Sprachverhunzung und Bevormundung.

  • Diversity meint in diesem Kontext eine Theorie, bei der die gesellschaftliche Vielfalt eine entscheidende Rolle spielt. Demnach sollen alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion oder Herkunft anerkannt und wertgeschätzt werden. Das Gegenteil von Diversity ist Diskriminierung.

Sozial vs biologisch

  • Trans*-Menschen sind Personen, denen bei ihrer Geburt ein Geschlecht zugewiesen wurde, das aber nicht ihrer sexuellen Identität entspricht. Das in der Gesellschaft historisch verankerte, binäre Geschlechtsmodell (englisch: gender binary) kennt ausschließlich die Unterscheidung Mann und Frau – bezogen sowohl auf das soziale (gender) als auch auf das biologische Geschlecht.
  • Menschen, die sich nicht eindeutig geschlechtlich festlegen können oder wollen – also intergeschlechtliche Menschen sowie nicht-binäre und transgeschlechtliche Geschlechtsidentitäten – kommen in dieser tradierten sozialen Geschlechterordnung nicht vor.

Sexuelle Identität vs sexuelle Orientierung

Zu welchem Geschlecht oder zu welchen Geschlechtern fühlt sich jemand hingezogen? Um diese Frage geht es bei der sexuellen Orientierung, die durch die sexuelle Beziehung zu einer anderen Person bestimmt ist.

  • Sexuelle Identität ist ein umfassender Begriff. Identität – vom mittellateinisch „identitas“, also Wesenseinheit – meint die Gesamtheit der Eigenschaften einer Person. Sie sind fester Bestandteil ihres Selbstverständnisses, ihres Wesen. Es geht also um die eigene Wahrnehmung, die jemand von sich selbst und seinem Geschlecht hat – unabhängig von sexuellen Beziehungen zu anderen.
  • Die sexuelle Orientierung hat die sexuelle Identität zur Grundlage. Sie bezieht andere Personen mit ein. Hier geht es darum, was jemanden sexuell anzieht. Dabei geht es vor allem darum, zu welchem Geschlecht man sich hingezogen fühlst.

Frauen vs Männer

Frauen halten mehr von der Sichtbarkeit von Geschlechtervielfalt und der Debatte darüber als Männer, wie einer Umfrage (2024) des Marktforschungsinstituts Innofact im Auftrag des Partnervermittlers Parship hervorgeht. Ein deutlich größerer Anteil bei Frauen als bei Männern befürwortet demnach, Geschlechtervielfalt abzubilden und einen Diskurs über das Thema in der Gesellschaft zu führen.

Die Mehrheit der Männer ist davon überzeugt, dass es nur zwei Geschlechter – Mann und Frau – gebe. 60 Prozent der Männer schlossen sich der Aussage an, aber nur rund 44 Prozent der Frauen. Befragt wurden 1010 Menschen aus Deutschland im Alter von 18 bis 69 Jahren.

Variabel vs konstant

Eine wichtige sexuelle Orientierung fehlt noch in unserer Auflistung: Abrosexualität.

  • Der Begriff Abrosexualität stammt von dem griechischen Präfix „abro“, was übersetzt anmutig bzw. zart bedeutet.
  • Im Rahmen dieser personalen Hinwendung variiert die sexuelle Anziehung oder Orientierung im Laufe der Zeit. Abrosexuelle Menschen erleben folglich eine wechselnde sexuelle oder romantische Anziehung zu verschiedenen Geschlechtern, die sich im Zeitverlauf ändern kannt.
  • Dabei kann die sexuelle Orientierung über lange Phasen stabil bleiben oder sich innerhalb von wenigen Tagen verändern. Variabilität ist hierbei ist also entscheidend.
  • Das Geschlecht – Mann, Frau oder Trans – spielt demnach bei einer abrosexuellen Person keine Rolle, sondern kann wechseln. Das wird davon bestimmt, wie sie sich der jeweiligen Phase in ihrem Körper fühlt und identifiziert.
  • Bei Abrosexualität handelt es sich um eine recht neue, in der Diskussion aufgetauchte Identität. Alternativ verwendete Begriffe sind: fluid, fluid-sexuell oder variabel, variabel-sexuell.

Abrosexualität unterscheidet sich damit grundlegend von anderen sexuellen Identitäten. Im Gegensatz zu festen sexuellen Orientierungen wie Heterosexualität, Homosexualität oder Bisexualität, bei denen die sexuelle Anziehung ein Leben lang konstant bleibt, erlebt eine abrosexuelle Person unterschiedlich ausgeprägte Veränderungen in ihren sexuellen Vorlieben. Diese Variationen können sowohl in kurzen als auch in längeren Zeitabständen auftreten.

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Erstellt:
18. Februar 2025, 11:26 Uhr
Aktualisiert:
18. Februar 2025, 11:59 Uhr

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