Fatale Folgen von Drogen
Wie sich Opioid-Schmerzmittel auf das Gehirn auswirken
Eine Opioidabhängigkeit ist mit messbaren Veränderungen in Hirnregionen verbunden – besonders in Arealen, die für Emotionen und Erinnerungen wichtig sind, wie neue Hirnscan-Daten zeigen.
Von Annett Stein (dpa)/Markus Brauer
Opioide hinterlassen im Gehirn mehr als nur flüchtige Spuren. Bei Opioidabhängigen schrumpfen bestimmte Teile des Gehirns einer Studie zufolge deutlich. In anderen Bereichen nimmt das Volumen im Mittel zu, wie das Forschungsteam im Fachjournal „Radiology“ berichtet. Neben diesen strukturellen gebe es funktionelle Hirnveränderungen vor allem in Regionen mit hoher Dichte an Rezeptoren für Opioide.
Today's ENIGMA Summit compared over 20 brain disorders in tens of thousands of people scanned with MRI, and suggests that: 1. brain disorders that hit very early, before birth (e.g. those due to genomic copy number variants such as genetic deletions) tend to affect cortical… pic.twitter.com/uJt9BmakL4 — Paul Thompson (@PTenigma) December 5, 2024
80.000 Opioid-Tote allein in den USA
Opioide sind eine Klasse von Substanzen, zu der synthetische Opioide wie Fentanyl, verschreibungspflichtige Schmerzmittel wie Oxycodon und illegale Betäubungsmittel wie Heroin gehören.
Opioide bergen ein hohes Missbrauchspotenzial, in den USA ist Opioidkonsum eine der Hauptursachen für Drogen-Überdosierungen. Allein im Jahr 2023 starben dort vorläufigen Daten zufolge mehr als 80.000 Menschen durch eine Überdosis synthetischer Opioide, vor allem Fentanyl.
Was ist Fentanyl?
Fentanyl gehört zu einer Gruppe recht neuer Drogen: synthetische Opioide wie auch Tilidin, Tramadol und Oxycodon, die als zugelassene Medikamente zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzt werden. Fentanyl wirkt ähnlich wie Morphin, wird aber komplett synthetisch hergestellt. In der Medizin wird es etwa bei Tumorerkrankungen verwendet.
In Deutschland spielt die Droge bislang bei weitem nicht so eine Rolle wie in den USA, wo die Opioidkrise unter anderem durch eine sehr großzügige und sorglose Verschreibung starker Schmerzmittel entstand.
Blick ins Gehirn
Eine sogenannte Opioid-Konsumstörung (englisch: Opioid use disorder/OUD) geht mit dem zwanghaften Bedürfnis einher, Opioide zu konsumieren, begleitet von körperlicher Abhängigkeit und schweren Entzugssymptomen.
Das Team um Saloni Mehta von der Yale School of Medicine in New Haven (USA) hatte eine spezielle Analyse der MRT-Scans von mehr als 200 Männern und Frauen durchgeführt, zu etwa der Hälfte Patienten mit OUD, die kurz zuvor mit einer Methadonbehandlung stabilisiert wurden, sowie gesunde Kontrollteilnehmer. Das Durchschnittsalter in der Gruppe mit Opioidkonsum lag bei 37 Jahren, etwa 40 Prozent waren Frauen.
Belohnung und Gedächtnis
Demnach gibt es deutliche Volumenunterschiede im Gehirn zwischen Teilnehmern mit OUD und gesunden Menschen. Ein geringeres Volumen weisen insbesondere Bereiche von Thalamus und Nucleus caudatus auf, ein größeres unter anderem Bereiche des Hirnstamms und des Kleinhirns.
Das Gesamthirnvolumen unterschied sich zwischen der Konsumenten- und der Kontrollgruppe nicht. Auch wurden keine signifikanten Zusammenhänge zwischen dem Hirnvolumen und dem Ausmaß oder der Dauer von OUD-Symptomen gefunden.
Hirnregionen wie Thalamus und Nucleus caudatus sind entscheidend für Funktionen wie Belohnungsverarbeitung, Gedächtnisbildung und Emotionsregulation. Der Thalamus dient zudem als Knotenpunkt für die Weiterleitung sensorischer Informationen im gesamten Gehirn. „Unser Ziel ist es, besser zu verstehen, was die Veränderungen verursacht haben könnte, um neue Behandlungsziele zu finden“, sagt Mehta.
Was ist Ursache, was Folge?
Die aktuelle Analyse zeigte strukturelle und funktionelle Veränderungen vor allem in Regionen mit hoher Opioidrezeptordichte in der Gruppe der Opioidkonsumenten: Thalamus, Hippocampus, Amygdala, Hirnstamm und Kleinhirn.
Solche Änderungen seien auch bei anderen Substanzkonsumstörungen üblich, heißt es in der Studie. Unklar sei bisher, wie strukturelle und funktionelle Veränderungen zusammenhängen und welche jeweils ursächlich und welche Folge sind.
Auffällig seien unterschiedliche Veränderungsmuster im medialen präfrontalen Kortex – einer zentralen Region, die bei vielen psychischen Erkrankungen eine Rolle spielt – bei Männern und Frauen. Womöglich liege hier eine Erklärung dafür, dass Opioidkonsum bei Frauen stärker mit psychischen Problemen einhergehe und schneller problematisch werde.
Implantat als Lebensretter?
Nach Angaben des National Institute on Drug Abuse litten 2021 allein in den USA etwa 2,5 Millionen Erwachsene an einer Opioidkonsumstörung. „Wir befinden uns mitten in einer Opioid-Epidemie, von der weltweit Millionen Menschen betroffen sind und die allein im letzten Jahr in den USA mehr als 80.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Opioid-Überdosierungen verursacht hat“, betont Mehta.
Forscher berichteten kürzlich, dass ein spezielles Implantat künftig bei einer Überdosis an Opiaten Leben retten könnte. Es kann die Überdosierung erkennen, ein Gegenmittel abgeben und Notfallhelfer informieren, wie das Team im Fachjournal „Science Advances“ berichtet.
3. Continuous, minimally-invasive monitoring of proteins and drugs in vivo Via a microneedle in the dermis, the sensor monitored changes in the levels of cytokines, hormones, neurotransmitters, and drugs - with a resolution of minuteshttps://t.co/lSsP1iPJZFpic.twitter.com/GAhUJPn8mf — Samuel Hume (@SamuelBHume) December 7, 2024
Das sogenannte Naxolimeter wurde demnach bisher an Tieren getestet. Es wird unter der Haut eingesetzt und misst den Sauerstoffgehalt des umliegenden Gewebes. Ist dieser sehr gering, gibt es Naloxon ab, ein Notfallmedikament bei Opioid-Überdosierung. Die Forscher suchen nun nach Industriepartnern, um das Implantat in klinischen Studien mit Menschen testen zu können.
Info: Opiate und Opioide
Opiate Opiate sind Substanzen, die direkt aus Opium, dem getrockneten Milchsaft vom Schlafmohn, gewonnen werden. Zur Opiate-Gruppe gehören zum Beispiel Morphin und Codein.
Opioide Opiate Der Begriff Opioide bezeichnet demgegenüber alle Substanzen, die an Opioid-Rezeptoren – also Zellen oder Zellbestandteile, die auf bestimmte Reize reagieren und Signale weiterleiten – binden und wie Morphin wirken. Dazu gehören sowohl natürliche als auch künstlich hergestellte (synthetische) Substanzen.
Endorphine Die Endorphine – körpereigene Substanzen, die von der Hirnanhangsdrüse im Gehirn ausschüttet werden – zählen als körpereigene Opioide ebenfalls zu dieser Gruppe.
Opioid-Analgetika Opioide sind verschreibungspflichtige Schmerzmittel. Sie wirken vor allem im zentralen Nervensystem (ZNS) – genauer an bestimmten Zellen im Gehirn und im Rückenmark, die Opioid-Rezeptoren besitzen. Dort unterdrücken die Medikamente Schmerzsignale. Opioide können stärkere Schmerzen lindern und wirken beruhigend. Opioid-Analgetika werden in stark wirksame Mittel und schwach wirksame Opioide unterschieden.
Schwache Opioide
- Tilidin
- Tramadol
- Codein
- Dihydrocodein
Starke Opioide Diese Mittel wirken stärker schmerzstillend als Morphin. Sie verursachen jedoch auch oft schwere Nebenwirkungen. Sie werden bei starken Schmerzen nach Operationen, Unfällen oder bei Tumorerkrankungen eingesetzt.
- Pethidin
- Piritramid
- Tapentadol
- Morphin
- Oxycodon
- Levomethadon
- Hydromorphon
- Fentanyl
- Remifentanil
- Sufentanil
- Morphin