Holger Sanwald vom 1. FC Heidenheim
„Wir stehen vor dem wichtigsten Spiel der Saison“
Holger Sanwald hat gemeinsam mit Trainer Frank Schmidt den Weg des 1. FC Heidenheim entscheidend geprägt. Vor dem Schlüsselspiel gegen Holstein Kiel spricht der Vorstandsvorsitzende über die Chancen im Kampf gegen den Abstieg und das Szenario zweite Liga.

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Es gibt viel zu besprechen in Heidenheim: der Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald (re.), Trainer Frank Schmidt.
Von Jürgen Frey
Nach neun sieglosen Bundesliga-Spielen in Serie und nur drei von 27 möglichen Punkten steht Schlusslicht 1. FC Heidenheim gegen den Tabellenvorletzten Holstein Kiel am Sonntag (17.30 Uhr) vor einem absoluten Schlüsselspiel. Der Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald spricht über die prekäre Lage.
Herr Sanwald, Ihr Trainer Frank Schmidt sagte vor der Saison, er mag Herausforderungen, gerade dann, wenn alle Zweifel haben und alles infrage gestellt wird. Trifft das auch auf Sie zu?
Klar, Herausforderungen haben unsere Reise als 1. FC Heidenheim schon immer geprägt. Würden wir Herausforderungen ängstlich aus dem Weg gehen, würden wir heute nicht darüber sprechen, dass wir jetzt in der Bundesliga um den Klassenerhalt kämpfen dürfen.
Teilen Sie die Einschätzung, dass der FCH am Sonntag vor dem wichtigsten Heimspiel der jüngeren Vereinsgeschichte steht?
Ja, die Einschätzung teile ich insofern, dass es das wichtigste Spiel der Saison bislang für uns ist. Wir müssen gewinnen, um an der Konkurrenz dranzubleiben.
„Es kann auch Reibung geben“
Der Ton wird zusehends rauer. Frank Schmidt hält nicht mehr die schützende Hand übers Team, strich zuletzt auch Stammkraft Leonardo Scienza aus dem Kader. Sind das Alarmzeichen?
Nein, dass es in einer Mannschaft auch Reibung geben kann, wenn die Konkurrenz um die Plätze groß ist, gehört zum Profifußball. Dabei hat sich Leo im Abschlusstraining nicht so professionell verhalten, wie es die Mannschaft nach dem schwachen Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach von sich selbst eingefordert hatte. Die Nichtnominierung für den Kader beim Hoffenheim-Spiel war die Konsequenz, er hat sich entschuldigt dafür, und damit ist das Thema intern schon längst wieder erledigt. Leo ist ein wichtiger Spieler für uns, der besondere Fähigkeiten mitbringt und auf den wir weiterhin setzen.
Nach dem 2:0 in Mainz hatte Ihr Team nach fünf Spieltagen bereits neun Punkte auf dem Konto. In den 20 folgenden Spielen kamen gerade mal sieben dazu. Wie erklären Sie sich diesen Absturz?
Dafür gibt es mehrere Faktoren, von denen die Teilnahme an der Uefa Conference League rückblickend sicherlich der größte ist. Es war ein fantastisches Erlebnis für unseren gesamten Verein, von dem wir in Sachen Wahrnehmung und Erfahrung noch ganz lang profitieren werden. Sportlich betrachtet bin ich aber überzeugt, dass wir ohne den Europapokal in der Bundesliga ein paar Punkte mehr auf dem Konto hätten.
Warum konkret?
Wochenlang Spiele praktisch nur im Drei-Tage-Rhythmus und all das, was damit zusammenhängt, kannten wir nicht. Der Fokus verändert sich automatisch, und du hast kaum Zeit zu trainieren. Gerade nach unserem personellen Umbruch im Sommer konnten wir uns dadurch als Mannschaft nicht so schnell entwickeln, wie das für unsere Spielweise und die Aufgaben in der Bundesliga notwendig gewesen wäre.
„Wir haben erhebliche Qualität verloren“
Waren die Abgänge von Eren Dinkci, Niklas Beste und vor allem Tim Kleindienst, der nicht nur Tore schoss, sondern das Team mit seiner Spielweise auch mitriss, einfach des Guten zu viel?
Keine Frage: Wir haben auf jeden Fall aufgrund der Mechanismen des Profifußballs im vergangenen Sommer erhebliche Qualität verloren. Dass es schwer werden würde, diese aufzufangen, war klar. Das Gute ist aber: Wir können jetzt – trotz dieses personellen Umbruchs vor der Saison und ohne die Doppelbelastung durch den Europapokal – den vollen Fokus auf die Bundesliga legen, um den Klassenerhalt zu schaffen. Das wäre in der Gesamtbetrachtung dann eine großartige Leistung.
Auch der kampf- und lauffreudige Mentalitätsspieler und Vizekapitän Lennard Maloney wurde in der Winterpause abgegeben. Folgen einzelne Spieler nicht mehr Frank Schmidt, gehen sie den Heidenheimer Weg nicht mehr mit?
Nein, überhaupt nicht. Lennard Maloney hatte schon im vergangenen Sommer ein für ihn sehr attraktives Angebot von Mainz 05 erhalten und äußerte damit verbunden den Wunsch zu wechseln. Wir wollten ihn aber damals nicht ziehen lassen, weil wir als absoluten Leistungsträger auf ihn gebaut haben und der personelle Umbruch im Kader ohnehin schon sehr groß war. Seinen Wechselwunsch hat er zum Ende der Hinrunde noch mal erneuert. Frank Schmidt hat ihn dann, aufgrund seiner besonderen Verantwortung als Vizekapitän, nicht mehr für die letzten drei Spiele vor Weihnachten berücksichtigt, weil wir nur auf Spieler setzen, die sich mit allem, was sie haben, unserem Saisonziel Klassenerhalt verschreiben. Lenny ist daraufhin im Januar gewechselt, wir haben noch Transfererlöse erzielen können und damit eine Lösung für alle Beteiligten gefunden.
„Klar, dass wir zweigleisig planen müssen“
Wenigstens noch den Relegationsplatz zu erreichen scheint das höchste der Gefühle zu sein. Würden bei einer Niederlage gegen Kiel verstärkt die Planungen für die zweite Liga beginnen?
Unabhängig von der aktuellen Brisanz im Kampf um den Klassenerhalt war klar, dass wir zweigleisig planen müssen. Wir beantragen die DFL-Lizenz immer für beide Ligen. Sollten wir absteigen, haben wir, mit Ausnahme der Leihspieler Paul Wanner und Frans Krätzig, alle unsere Leistungsträger unter Vertrag. Wir sind also sportlich gut aufgestellt und dazu wirtschaftlich gesund. Wir sind überzeugt, dass wir den Klassenerhalt noch schaffen können, wären aber somit auch für den anderen Fall gewappnet.
Was würde ein Abstieg für den FCH bedeuten?
Unser voller Fokus liegt derzeit auf dem Bundesliga-Klassenerhalt, und wir sind überzeugt, dass wir dies auch schaffen können. Wenn doch der Fall zweite Liga eintreten sollte, hätten wir unsere Hausaufgaben gemacht. Wie schon erwähnt, hätten wir entweder eine konkurrenzfähige Mannschaft, die wir kennen und mit der wir in der Zweiten Bundesliga bestehen könnten, oder aber, falls wir Spieler nicht halten könnten, entsprechende Transfererlöse, um ein neues Team zu formen. Wir planen immer mit Weitsicht, weshalb unserem Verein vor der Zukunft so oder so nicht bange sein muss.
Sollte der Klassenverbleib nicht gelingen: Was macht Sie sicher, dass Frank Schmidt seinen bis 2027 laufenden Vertrag erfüllen wird?
Frank verkörpert bestimmte Werte wie kaum ein Zweiter. Dazu zählt auch, dass man sich auf sein Wort absolut verlassen kann. Das hat er in der Vergangenheit selbst immer wieder betont. Er identifiziert sich maximal mit unserem Verein und weiß natürlich auch um seine Verantwortung. Ohne ihn und seine Leistungen als Trainer wären wir nie als 1. FC Heidenheim bis in die Bundesliga gekommen. Deshalb wird es mit Frank Schmidt bis 2027 auf jeden Fall bei uns weitergehen und hoffentlich auch noch lange darüber hinaus!
Zur Person
Karriere Holger Sanwald wurde am 18. Mai 1967 in Giengen/Brenz geboren. Er stürmte früher selbst für den Vorgängerclub Heidenheimer SB, von dem sich die Fußballabteilung 2007 als FCH abspaltete, in der Jugend und in der Landesliga. Im Alter von 27 wurde er ehrenamtlicher Abteilungsleiter. Der Diplom-Ökonom kümmert sich seit 2008 hauptamtlich um den Verein, erst als Geschäftsführer, seit Januar 2017 als Vorstandsvorsitzender. Er ist seit Ende 2017 Mitglied im Vorstand des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).
Persönliches Holger Sanwald ist verheiratet, er hat eine Tochter. Hobbys: Hund, Reisen, Geschichte. (jüf)