Neue Social-Media-Plattform
Wird Bluesky das neue X?
Bluesky steht für frischen Wind in der Welt der sozialen Netzwerke, die bisher Milliardäre wie Elon Musk und Mark Zuckerberg kontrollieren. Seit dem Wahlsieg Donald Trumps entwickelt sich das Start-up zur Zufluchtsstätte des anderen Amerika.
Von Thomas Spang
Der weiße Schmetterling auf optimistisch-blauem Grund weckt dieselben Assoziationen wie der Name „Bluesky“. Hier wartet die Gegenwelt zu den düsteren Schwingungen des pechschwarzen X-Netzwerks, zu dem Elon Musk den ehemaligen Kurznachrichtendienst Twitter nach seinem Kauf verwandelt hat. „Es fühlt sich wirklich wie ein Ort an, an dem das Internet wieder Spaß macht“, beschreibt die PR-Beraterin Jenn Takahashi in der Washington Post die neue Plattform. „Kein Blättern im Weltuntergang mehr.“
Dieses Gefühl teilen mittlerweile Millionen. Menschen, die sich selbst „X-Flüchtlinge“ nennen, erstellen Profile mit Biografien wie „Neu hier“, „Twitter war gestern“ oder „Hier, um Freunde zu finden“. Bluesky ist nicht nur ein Trend, sondern ein soziales Phänomen. Seit der US-Präsidentschaftswahl Anfang November hat sich die Plattform explosionsartig entwickelt. Statt eines Umzugs nach Kanada verlegt das andere Amerika seinen Wohnsitz im Netz.
Einige Promis sind bereits auf Bluesky angemeldet
Nach Angaben von Bluesky-Chefin Jay Graber verzeichnet der Dienst derzeit ein Wachstum von einer Million neuen Nutzern pro Tag. Innerhalb weniger Wochen stieg die Nutzerzahl von 10 auf über 22 Millionen. Ein Wachstum, das selbst in der dynamischen Welt der sozialen Medien bemerkenswert ist. Angetrieben wird es durch den demonstrativen Wechsel prominenter Nutzer. Dazu gehören Überläufer wie die progressive Kongressabgeordnete aus New York, Alexandria Ocasio-Cortez, der Journalist Don Lemon, Schauspieler Mark Hamill oder die Musikerin Lizzo. „Hier fühlt es sich an, als wäre die Plattform wirklich für und von echten Menschen gemacht“, erklärte Ocasio-Cortez ihre Gründe für den Wechsel.
Auch deutsche Nutzer wechseln. Werder Bremen machte ebenso Schlagzeilen wie die Gruppe von mehr als 60 Journalisten, Autoren und Institutionen, die öffentlich ihren Abschied von X erklärten und sich Bluesky anschlossen. Im deutschen Wahlkampf spielt Bluesky noch keine große Rolle. Robert Habeck (Grüne) hat immerhin schon mehr als 43 000 Anhänger, während CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz auf gerade mal 1100 Anhänger und Kanzler Olaf Scholz etwa auf die Hälfte davon kommt.
Der Aufstieg des Schmetterlings-Dienstes ist eng mit der Entwicklung von X unter Musk verknüpft. Als der Milliardär 2022 Twitter übernahm, versprach er den Kurznachrichtendienst „freier und offener“ zu machen. Doch was folgte, war ein radikaler Umbau, der viele Nutzer abschreckte. Musk entließ 80 Prozent der Belegschaft, darunter fast alle Inhalte-Moderatoren. Er führte ein Bezahlsystem zur Verifizierung von Konten ein, womit sich zahlende Nutzer de facto Einfluss erkaufen konnten.
Elon Musks X, ehemals Twitter, rückte weit nach rechts
In der Praxis rückte Musk das Netzwerk weit nach rechts. Symbolischer Höhepunkt war die Wiederzulassung von Donald Trumps Nutzerkonto, das seit dem versuchten Putsch am 6. Januar 2021 gesperrt war. Der Soziologe Mark Carrigan nennt X im Guardian „die Plattform der MAGA-Welt“ (MAGA steht für Make America Great Again). Und nicht wenige Kritiker erwarten, dass Trumps eigenes Netzwerk Truth Social in nicht allzu ferner Zukunft darin aufgeht.
Die inhaltliche Kehrtwende ging einher mit einer Zunahme von Hassreden und vergifteten Diskussionen. Studien zeigen, dass die Hetze seit Musks Übernahme sprunghaft angestiegen ist. Viele Nutzer, insbesondere Journalisten, beklagten zudem, dass X systematisch die Reichweite von Beiträgen mit externen Links einschränkt. Das ist ein Nachteil für jene, die auf Reichweite angewiesen sind, um ihre Inhalte zu verbreiten.
Trotz des schnellen Wachstums bedient Bluesky im Vergleich zu den Platzhirschen X und Threads noch eine Nische. Zwar stagniert die monatliche Nutzerbasis bei X seit 2022, aber sie liegt nach Angaben des Dienstes immer noch bei monatlich 590 Millionen Nutzern. Eine Zahl, die nach Ansicht von Experten wegen der vielen Bots, ruhenden Konten und abnehmenden Verweildauer mit Vorsicht zu genießen ist. Am meisten profitiert hatte bisher Zuckerbergs Alternative Threads, die nun 275 Millionen aktive Nutzer im Monat verzeichnet.
Kein Netzwerk wächst schneller
Doch relativ zu seiner Größe wächst kein Netzwerk schneller als Bluesky, das davon profitiert, dass Threads politische Inhalte in seinen Algorithmen herunterstuft. Ein Grund, warum das Start-up-Netzwerk gerade bei politischen Meinungsführern und Multiplikatoren Konjunktur hat.
Technisch stellt das die Plattform vor Herausforderungen. Die Server werden durch den Nutzeransturm belastet, und das Management der Inhalte hinkt hinterher. Erst kürzlich kündigte Bluesky an, sein Moderationsteam zu vervierfachen, um den Anforderungen gerecht zu werden.
Kritiker warnen zudem, dass Bluesky Gefahr läuft, zu einer „Echokammer des liberalen Amerika“ zu werden. Eine Warnung, die Ocasio-Cortez mit dem Verweis auf den Einfluss des Musk-Netzwerks X auf das zurückliegende Rennen um das Weiße Haus kontert. „Eine Echokammer hat gerade eine Präsidentschaftswahl gewonnen.“
Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich Bluesky zu einer nachhaltigen Alternative zu X entwickelt oder bloß ein weiteres Kapitel in der Geschichte gescheiterter Social-Media-Experimente wird. Die Beobachtungen in der realen Welt lassen die jungen Macher des Start-ups hoffen. Die Überläufer sind bereit, oft Hunderttausende Anhänger zurückzulassen, um auf Bluesky von vorn anzufangen. Schmetterlings-Gefühle in der Welt der sozialen Medien.
So funktioniert Bluesky
PlattformDie Plattform Bluesky erinnert an das „alte Twitter“: kurze Beiträge mit maximal 300 Zeichen, eine chronologische Zeitleiste und eine aktive Gemeinschaft. Doch Bluesky hebt sich durch seine dezentrale Architektur ab. Nutzer können individuelle Feeds erstellen, die auf handverlesenen oder algorithmischen Inhalten basieren. „Unser Ziel war es, den Menschen die Kontrolle über ihre Online-Erfahrung zurückzugeben“, erklärte Bluesky-Chefin Jay Graber kürzlich in einem Interview mit dem Radiosender NPR.Das Herzstück von Bluesky ist das sogenannte AT-Protokoll, ein technischer Rahmen, der die Plattform „milliardärssicher“ machen soll, wie Graber betont. Anders als bei zentralisierten Plattformen wie X oder Mark Zuckerbergs Netzwerk Threads gehört Bluesky nicht einem einzigen Unternehmen.
ProblemeWirtschaftlich steht Bluesky vor einer ungewissen Zukunft. Bislang lebt die Plattform von Risikokapitalgebern und dem Verkauf von Domainnamen. Ein nachhaltiges Geschäftsmodell fehlt. (