Rätselhaftes Phänomen auf Charon
Woher das Bleichmittel auf dem Pluto-Mond Charon stammt
Das „James-Webb“-Weltraumteleskop der Nasa bringt zahlreiche einzigartige Erkenntnisse über das Weltall. Nun haben Astronomen damit den Plutomond Charon in Visier genommen und eine außerordentliche Entdeckung gemacht.
Von Rainer Kayser (dpa)/Markus Brauer
Auf der Oberfläche des Plutomonds Charon gibt es neben einigen bekannten Stoffen auch gefrorenes Kohlendioxid und Wasserstoffperoxid. Das zeigen Beobachtungen eines internationalen Forscherteams mit dem „James Webb“-Weltraumteleskop der US-Raumfahrtbehörde Nasa.
Strahlung aus dem Weltall kreiert Desinfektionsmittel
Wasserstoffperoxid (H2O2) ist eine blassblaue, in verdünnter Form farblose, weitgehend stabile Flüssigverbindung aus Wasserstoff und Sauerstoff. Die Substanz wird häufig als Bleich- und Desinfektionsmittel genutzt.
Der Nachweis von Wasserstoffperoxid zeige einmal mehr die überragenden Fähigkeiten des Teleskops, schreiben die Wissenschaftler. H2O2 entstehe auf Charon vermutlich durch Strahlung aus dem Weltall, heißt es in der Studie, die im Fachblatt „Nature Communications“ erschienen ist.
James Webb Space Telescope deciphers the origins of Pluto's icy moon Charon https://t.co/q2djfhbWTEpic.twitter.com/vRpxCiPmpb — SPACE.com (@SPACEdotcom) October 1, 2024
„Die hochentwickelten Fähigkeiten des ‚James-Webb’-Teleskops haben es unserem Team ermöglicht, das von Charon reflektierte Sonnenlicht bei wesentlich längeren Wellenlängen zu untersuchen, als dies bisher möglich war“, erklärt Ian Wong vom Space Telescope Science Institute in Baltimore (USA). „Das erweitert unser Verständnis für die Komplexität dieses faszinierenden Objekts.“
Plutos Heimat im Kuipergürtel
Pluto, der nach seiner Entdeckung 1930 zunächst als neunter Planet unseres Sonnensystems gezählt wurde, gilt heute als Zwergplanet. Denn er ist zwar von runder Form wie ein Planet, zieht aber im Gegensatz zu den größeren Planeten seine Bahn nicht allein um die Sonne.
Vielmehr ist Pluto nur eines von vielen Tausenden von Objekten im Kuipergürtel jenseits des Planeten Neptun. Der Himmelskörper mit einem Durchmesser von 2375 Kilometern umrundet die Sonne auf einer stark elliptischen Bahn in der 30- bis 50-fachen Entfernung der Erde von der Sonne.
Charon im Vergleich zu Pluto erstaunlich groß
Erst 1978 entdeckten Himmelsforscher den großen Pluto-Mond Charon. Mit einem Durchmesser von 1212 Kilometern ist er im Vergleich zu Pluto erstaunlich groß, weshalb Astronomen das Paar oft als Doppel-Zwergplanet bezeichnen. Inzwischen sind vier weitere, kleinere Trabanten von Pluto bekannt.
Charon ist vermutlich durch den Zusammenstoß von Pluto mit einem weiteren großen Körper des Kuiper-Gürtels entstanden. Und auch die kleineren Begleiter sind nach Ansicht der Himmelsforscher Überreste dieser Kollision.
Wichtige Begriffe erklärt
Pluto: Mit einem Durchmesser von 2370 Kilometern gilt Pluto als größter Zwergplanet im Kuipergürtel. Eris ist nach Pluto der massereichste und zweitgrößte bekannte Zwergplanet unseres Sonnensystems. Neben Pluto und Eris zählen noch Sedna, Quaoar, Orcus und Makemake zu den Plutoiden, einer Unterklasse von Zwergplaneten, die abseits der Neptun-Umlaufbahn die Sonne im Kuipergürtel umrunden.
Kuipergürtel: Hinter der Umlaufbahn von Neptun beginnt der Kuipergürtel, die unwirtliche, lebensfeindliche äußere Randzone unseres Sonnensystems. In dieser ringförmigen, flachen Region sind neben unzähligen eisigen Gesteinskörpern auch Zwergplaneten wie Pluto, Eris, Sedna und Quaoar beheimatet. Der Kuipergürtel enthält Schätzungen zufolge mehr als 70 000 Objekte mit über 100 Kilometern Durchmesser sowie zahlreiche kleinere Objekte. Die meisten von ihnen sind mit einem Durchmesser von zehn bis 50 Kilometern eher winzig.
Charon (Mond): Charon (auch Pluto I genannt) ist der innerste und größte der fünf bekannten Monde des Zwergplaneten Pluto. Entdeckt wurde er im Jahr 1978. Sein mittlerer Durchmesser beträgt 1212 Kilometer, was etwas mehr als die Hälfte des Durchmessers von Pluto ausmacht. Verglichen mit anderen Monden im Sonnensystem ist Charon damit im Verhältnis zu seinem Hauptkörper ungewöhnlich groß und der gemeinsame Schwerpunkt liegt weit außerhalb von Pluto.
Charon (Mythologie): In der griechischen und römischen Mythologie wurde die Unterwelt Erebos sowie Hades genannt. Der Fährmann Charon brachte den Reisenden nach Empfang der Begräbnisriten und einer Geldmünze (Obolus) über den Fluss Styx oder Acheron, der die Ober- von der Unterwelt trennt. Eine Kluft oder Höhle bildet den Eingang zur Unterwelt, wo die Toten leben. Das Tor zur Unterwelt befindet sich entweder am Ende der Welt am Ufer des Okeanos, am Kap Tenaro, im Land der Kimmerier oder im Hain Persephones. Dort stürzen die Fluten des Flammenflusses Pyriphlegethon und des Kokytos in die Tiefe.
Wie kann Wasserstoffperoxid auf Charon entstehen?
Im Juli 2015 passierte die amerikanische Raumsonde „New Horizons“ das Pluto-Charon-System und lieferte erstmals detaillierte Informationen über diese fernen Himmelskörper.
Auf der Oberfläche von Charon fanden die Forscher Wassereis, Stickstoff, Ammoniak und Tholine, rotbraune Moleküle aus Kohlenstoff, Stickstoff und Wasserstoff. Die neuen Beobachtungen mit dem „James-Webb“-Teleskop ergänzen diese Substanzen nun um Kohlendioxid und Wasserstoffperoxid.
Woher stammt Wasserstoffperoxid auf Charon?
„Das Kohlendioxid stammt vermutlich aus dem Inneren von Charon und wurde durch Einschläge kleinerer Himmelskörper freigesetzt“, erläutert Silvia Protopapa vom Southwest Research Institute in den USA, die die Beobachtungen leitete. Schwieriger war es für die Wissenschaftler, die Existenz von Wasserstoffperoxid zu erklären, das auf der Erde mit einem komplizierten chemischen Verfahren hergestellt wird.
Vermutlich bilde sich der Stoff unter dem Einfluss der ultravioletten Strahlung der Sonne und hochenergetischer Teilchen des Sonnenwinds und der kosmischen Strahlung, schreiben die Forscher. Mithilfe von Laborexperimenten konnten sie tatsächlich zeigen, dass Wasserstoffperoxid unter Bedingungen, wie sie auf Charon herrschen, in Mischungen aus Kohlendioxid und Wassereis entstehen kann.