Körpersaft, Rotz, Sekret

Warum Schleim unserer Gesundheit guttut

Für viele eklig, für den Körper unverzichtbar: Schleim etwa aus der Nase hält uns gesund und birgt Potenzial für medizinische Innovationen wie Biotinte, spezielle Pflaster und Kontaktlinsen.

Für die Beschaffenheit des Mucus sind bestimmte Glykoproteine verantwortlich, die sogenannten Mucine. Im Zusammenspiel mit ihrer jeweiligen Umgebung bestimmten sie, ob der Schleim dünnflüssig wie in der Lunge oder zäher wie im Magen ist.

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Für die Beschaffenheit des Mucus sind bestimmte Glykoproteine verantwortlich, die sogenannten Mucine. Im Zusammenspiel mit ihrer jeweiligen Umgebung bestimmten sie, ob der Schleim dünnflüssig wie in der Lunge oder zäher wie im Magen ist.

Von Alice Lanzke (dpa)/Markus Brauer

Ob als Rotz aus der Nase, Auswurf aus der Lunge oder Sekret einer nässenden Wunde: Beim Anblick von Schleim denken viele Menschen „Igitt!“.

Doch diese oft unterschätzte Körperflüssigkeit spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit. Sie wirkt als erste Verteidigungslinie gegen Krankheitserreger, Lebensraum für unsere Mikrobiome und Förderband für unsere Verdauung, damit alles buchstäblich wie geschmiert läuft.

Schmierstoff und Schutz

Schon in der Antike wurde Schleim eine zentrale Rolle zugeschrieben: als einem der vier Körpersäfte neben Blut, schwarzer und gelber Galle, die sich für Gesundheit und Wohlbefinden im Gleichgewicht befinden sollten. Heutzutage gelten die klebrigen Sekrete eher als ekelerregende Krankheitsträger.

Dabei ist Schleim – oder Mucus – viel mehr als ein Auswurfprodukt des Körpers: Als natürlicher Schmierstoff ist er zum Beispiel fürs Schlucken und die Verdauung von großer Bedeutung, verhindert in Form von Nasensekret oder Zervixschleim das Eindringen von Krankheitserregern, schützt die Magenwand vor der Magensäure und beherbergt einen Großteil des menschlichen Mikrobioms etwa in der Darmflora.

Mehr als ein Liter Schleim täglich

Insgesamt produziert der menschliche Körper im Schnitt etwa einen bis eineinhalb Liter Schleim am Tag. Je nach Körperregion variiert die Zusammensetzung der gelartigen Substanz, die hauptsächlich aus Wasser, Proteinen, Antikörpern und Enzymen besteht.

Für die Beschaffenheit des Mucus sind bestimmte Glykoproteine verantwortlich, die sogenannten Mucine. Im Zusammenspiel mit ihrer jeweiligen Umgebung bestimmten sie, ob der Schleim dünnflüssig wie in der Lunge oder zäher wie im Magen ist.

Verhinderte Ansteckungen

Eben jene Mucine haben wahrscheinlich unter anderem auch einen großen Anteil daran, gefährliche Keime unschädlich zu machen, die über die Nase versuchen, in den Körper einzudringen. Anders als bislang gedacht wirken die Schleimstoffe dabei womöglich nicht wie eine Barriere. Vielmehr könnten die Zuckermoleküle in den Mucinen die Signalübertragung der Keime stören und diese so unschädlich machen.

Das legt eine 2019 im Fachblatt „Nature Microbiology“ veröffentlichte Studie der deutschen Biophysikerin Katharina Ribbeck nahe, die am Massachusetts Institute of Technology in den USA zu Schleim forscht.

Wie die Mucine Keime genau zähmen, lasse sich noch nicht beantworten, heißt es in der Studie. Würden die entsprechenden bioaktiven Zuckermoleküle aber identifiziert, könne das wahrscheinlich die Entwicklung einer „Klasse von Therapeutika zur Behandlung hartnäckiger bakterieller Infektionen“ erlauben.

Biotinte aus Schleim

Das ist nicht die einzige denkbare Anwendung: In einer im Juni dieses Jahres im Fachblatt „ACS Applied Bio Materials“ publizierten Studie stellte eine indische Forschungsgruppe eine Mucin-basierte Biotinte für den 3D-Druck von Lungengewebe vor. Eine solche Tinte könnte einmal zur Herstellung von 3D-Lungenmodellen verwendet werden, um Lungenerkrankungen zu untersuchen und mögliche Behandlungen zu testen.

Auch an der Technischen Universität München wird unter Leitung von Oliver Lieleg an medizinischen Anwendungen von Mucinen geforscht, darunter ebenfalls an Biotinte aus Mucinen. Lieleg, der sich schon seit 15 Jahren mit dem Thema beschäftigt, führt das große Potenzial der komplexen Schleimmoleküle auf deren vielfältige Eigenschaften zurück.

Diese könnten etwa sehr viel Wasser binden, auf vielen Oberflächen haften, das Anhaften von anderen Objekten an sich aber recht gut unterdrücken. „Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Viren zum Beispiel werden von Mucinen sehr gut gebunden und das ist Teil der Aufgabe von Mucus, damit wir nicht dauernd mit einer Erkältung im Bett liegen.“

Schmiermittel für Kontaktlinsen

Zudem seien Mucine als körpereigenes Material gut verträglich – eine wichtige Eigenschaft für den möglichen medizinischen Einsatz, zu dem etwa spezielle Beschichtungen für Kontaktlinsen oder Intubationsschläuche gehören. Für diese hat sich Lielegs Team zunutze gemacht, dass Mucine ein gutes Schmiermittel sind.

„Kontaktlinsen und Intubationsschläuche sind harte Materialien, die im ungünstigsten Fall auf weichen Geweben Schäden hinterlassen können.“ Mucin-basierte Beschichtungen könnten derartige Irritationen minimieren. Und im Fall der Kontaktlinsen auch dafür sorgen, dass sich Lipide aus dem Tränenfilm der Augen nicht auf den Linsen absetzen.

Die verwendeten Schleimmoleküle gewinnt Lielegs Gruppe aus Schleim aus Schweinemägen, der verdünnt so lange chemisch gereinigt wird, bis am Ende reines Mucin in einer Zuckerwatte-Konsistenz vorliegt.

Wundheilungspflaster für Verletzungen

Darüber hinaus haben die Forscher ein Wundheilungspflaster speziell für Verletzungen von Weichgewebe wie der Zunge oder im Darm entwickelt. Der Prototyp enthält eine Seite auf Mucin-Basis, die antibakteriell wirkt und so eine Verkeimung der Wunde verhindert.

Lieleg und sein Team erforschen auch mögliche Störungen des Mucus-Systems und konnten zeigen, dass Feinstaubpartikel die Barrierewirkung von Schleim beeinflussen können. Ähnliche Untersuchungen führt die Gruppe derzeit zu Mikroplastikpartikeln durch.

„Mucus fängt sehr viel ab, was von der äußeren Umwelt auf unsere Schleimhäute trifft“, resümiert Lieleg. „Wenn Verunreinigungen diese Barriere schwächen, kommen vielleicht Dinge durch, die das nicht sollten.“

Ungerechtfertigtes schlechtes Image

Der Wissenschaftler betont: „Ich glaube, wir unterschätzen einfach, wie wichtig Schleim für uns ist.“ Ohne Mucine im Tränenfilm würde etwa Blinzeln mit der Zeit schwierig werden. Bestimmte Krankheitsbilder zeigten sich in einer verringerten Mucin-Produktion, zum Beispiel im Speichel. „Wenn der nicht ordentlich schmiert, dann ist Sprechen und Schlucken schmerzhaft“, erklärt Lieleg.

Dass wir nicht ständig krank werden, verdankten wir den Schleimmolekülen, die eine Menge abfingen. „Was dann aus der Nase kommt, sieht vielleicht nicht so schön aus, aber das liegt daran, dass die feinen Staubpartikel oder ein Großteil der Grippeviren meiner Büronachbarin zum Glück da drin hängen.“

Schleim habe ein viel zu schlechtes Image. „Ich denke, dass viele Menschen nicht wissen, wie wichtig er für unser alltägliches Wohlbefinden ist.“

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Erstellt:
28. November 2024, 09:34 Uhr

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