Polizistenmord in Mannheim

Attentat in Endlosschleife

Der Mord an dem Polizisten Rouven Laur, veränderte auch das Leben Youssuf Hanashs von Grund auf. Auch auf ihn stach Sulaiman A. im vergangenen Jahr auf dem Mannheimer Marktplatz ein.

Gedenkfeier für Rouven Laur auf dem Mannheimer Marktplatz. Von den beiden Bäumen, unter denen die Polizisten stehen, lief am Tattag Youssuf Hanash los, um sich dem Attentäter entgegenzustellen und zu helfen.

© dpa/Bernd Weißbrod

Gedenkfeier für Rouven Laur auf dem Mannheimer Marktplatz. Von den beiden Bäumen, unter denen die Polizisten stehen, lief am Tattag Youssuf Hanash los, um sich dem Attentäter entgegenzustellen und zu helfen.

Von Franz Feyder

Von einer Sekunde auf die andere ist alles anders: der Umgang mit dem dreijährigen Sohn, das Leben mit der Ehefrau, der Beruf. Für den Mann, der hier Youssuf Hanash heißen soll, änderte sich am 31. Mai 2024 auf dem Marktplatz in Mannheim alles: Sulaiman A. stach an diesem Tag nicht nur auf den Polizeihauptkommissar Rouven Laur ein, der zwei Tage später an seinen Verletzungen verstarb. Sondern auch auf fünf weitere Männer. Einer von ihnen ist Youssuf Hanash. Der Mann, den A. angriff, bevor er sich Laur zuwandte.

Am frühen Morgen dieses blutigen Freitags hatte Hanash in Mainz den Zug bestiegen. Um zum „Änderungsschneider meines Vertrauens“ nach Mannheim zu fahren – den Mann, der dem aramäischen Christen aus dem Irak schon den Hochzeitsanzug geschneidert hatte. Er sollte für eine anstehende Erstkommunion den feinen Zwirn ändern. Um 6.22 Uhr war Hanash im Mainzer Hauptbahnhof auf der Toilette. Um 8.52 Uhr auf der im Mannheimer Bahnhof. Das belegen Kassenzettelchen. Sechs Minuten braucht die Tram vom Bahnhof bis zum Marktplatz.

Als Hanash ausstieg, sah er einen Stand: faltbarer Tisch, faltbarer Gartenpavillon, große Deutschlandfahne. Stelltafeln und Strandfahnen, die für die „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) warben. Eine Gruppe, die sich kritisch mit dem politischen Islam auseinandersetzt. Eine „Kritik, die im Rahmen einer geistig-politischen Auseinandersetzung auf Gefahren eines politischen Islam für unsere Grundwerte hinweist“, stellte der bayrische Verfassungsschutz 2023 fest. Die BPE unterläge deshalb „nicht dem Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes“.

Hanash wusste aus sozialen Medien, was die BPE, wer deren Frontmann Michael Stürzenberger ist. Als Christ hatte seine Familie bis zum Beginn der 2000er-Jahre – wenn auch kein gutes, so doch ein von Diktator Saddam Hussein toleriertes Leben im Irak. Das änderte sich spätestens mit der US-Invasion 2003: Islamistische Terrorgruppen nahmen Christen ins Fadenkreuz. Viele flohen, das Flüchtlingshilfswerk UNHCR der Vereinten Nationen spricht von einem Exodus. Unter den Flüchtenden die Kinder der Familie Hanash. Youssuf kam nach Deutschland, die Geschwister verschlug es in die USA.

„Im Irak kamen auf einmal Freunde und Nachbarn zu meiner Familie und forderten Zwangsgelder von uns, nur weil wir Christen sind. Wir bekamen Drohbriefe, fürchteten um unser Leben“, erzählt er den Richtern am Stuttgarter Oberlandesgericht, wo derzeit der Prozess gegen Sulaiman A. stattfindet.

Der Kopf sagte: „Lauf weg!“, das Herz sagte: „Hilf!“

Doch zurück zum Tatort: Auf dem Mannheimer Marktplatz begrüßte Hanash Stürzenberger, den er aus Videos kennt. Erzählte ihm, dass er als Christ aus dem Irak floh. Lehnte es aber ab, an dem Stand der BPE zu sprechen: „Aus Angst um mich und die Familie“, sagt Hanash. Er besuchte seinen Schneider; am Abend sollte der Anzug fertig sein. Bis dahin wollte er dem Treiben um den Stand der BPE zusehen.

Er habe den „afghanischen Herren“ bemerkt, der auf ihn wie „ein Salafist gewirkt“ habe: gekürzte Hose, Bart. Er habe gesehen, wie Sulaiman A. mit seinem Handy Aufnahmen von dem Stand der BPE gemacht habe, habe immer wieder zu ihm rübergeschaut. Er sah, wie A. mit einem Messer in der Hand loslief, sich auf Stürzenberger stürzte und zustach. „Eine Stimme im Kopf sagte mir, geh’ da nicht hin, bleib’ da weg. Im Herzen spürte ich, dass ich helfen muss“, erinnert er sich unter Tränen. „Ich bin nach Deutschland gekommen, um nicht nichts zu tun.“

Hanash bemerkt nicht, dass er selbst verletzt ist

Er sei losgerannt. A., selbst am Boden, habe ihm den Rücken zugewandt. Er habe die Hand mit dem Messer zunächst festgehalten. Dann aber habe sich der Attentäter wieder frei machen können. „Warum, weiß ich nicht“, erzählt Hanash. Er habe Schläge ins Gesicht bekommen, die drei Messerstiche in seinen Rücken habe er gar nicht mitbekommen. „Ich war überrascht, dass ich Schmerzen hatte, wollte wegrennen.“ Er hatte Angst, selbst für den Angreifer gehalten und erschossen zu werden.

Hanashs Erinnerung bröselt zurück ins Bewusstsein. Im Oberlandesgericht sieht er sich auf dem Mannheimer Marktplatz auf dem Boden liegen, sein Bein heben, um einen weiteren Angriff A.s abzuwehren. „Da merkte ich, dass er zu dem Polizisten rannte und auf ihn einstach.“ Er hört noch den Schuss, der Sulaiman A.s Angriff stoppt.

Opfer geht ans Ersparte, um heute über die Runden zu kommen

Schmerzen hat Hanash bis heute. Vor allem seelische. In seinen Albträumen greift A. ihn immer wieder an. Trachtet nach seinem Leben, dem seiner Familie. Im Krankenhaus stellte er einen Becher mit Löffeln auf die Türklinke, um gewarnt zu werden. Er vertraut niemandem mehr. Hanash zwingt sich, mit seinem Sohn zu spielen. Hat Angst, die Zwei-Zimmer-Wohnung zu verlassen. Seit 31. Mai 2024 arbeitet er nicht mehr, sein Arbeitsvertrag läuft aus. Das Geld wird knapp. Er muss ans Ersparte, um über die Runden zu kommen.

Alleine gelassen fühlt er sich. Das wichtigste aber für Youssuf Hanash: „Ich hätte gerne etwas Wertschätzendes nach diesem Tag erfahren. Nur ein Zeichen, dass der deutschen Gesellschaft mein Handeln an diesem Tag irgendetwas bedeutet.“

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Erstellt:
28. März 2025, 14:12 Uhr
Aktualisiert:
28. März 2025, 15:07 Uhr

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